Theater 1987 am LMG


Der Belagerungszustand

von

Albert Camus

Der Belagerungszustand

Programmheft der Theater-AG des Lise Meitner – Gymnasiums

INHALTSVERZEICHNIS

Camus et Combat

Der Mensch in der Revolte

Der Mythos von Sisyphos: Revolte

Albert Camus: Warum Spanien?
Antwort an einen Kritiker

Textauszug: "Die Pest"

Zeichnung

Georg Trakl: Traum des Bösen

Die Maske des Roten Todes

Abraham a Santa Clara

Wir über S.E.K. III

Besetzung/Stab

Impressum



CAMUS ET COMBAT

Der Belagerungszustand und seine historischen Hintergründe

1948 - das Erscheinungsjahr von Camus' Drama "L'Etat de Siege" ("Der Belagerungszustand") - ist gleichzeitig das Jahr 4 nach der Befreiung Frankreichs von deutscher Besetzung. Erinnern wir uns: Innerhalb von zwei Monaten, im Frühsommer 1940, wird Frankreich von deutschen Truppen in einem Blitzkrieg besiegt und geteilt. Das eine Teilgebiet fällt unter deutsche Besetzung, Restfrankreich unter französische Verwaltung der vom deutschen Willen abhängigen Regierung des Marschalls Petain. Das Petain-Regime ("Etat Francais") löst im nicht besetzten Teil Frankreichs die demokratischen Institutionen Parlament, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände auf und bildet quasi eine weitere Besatzungsmacht. Frankreichs Belagerungszustand ist also zweifach.

Anfangs noch von der französischen Bevölkerung resignierend unterstützt, oder zumindest geduldet, müssen die Belagerungsmächte Deutschland und die Petain-Regierung wachsendem Widerstand ("Resistance") und offenem Kampf ("Combat") ins Auge blicken.

Die von General de Gaulle vereinten zahlreichen Widerstandsgruppen werden zu Massenorganisationen und erreichen die Befreiung Frankreichs Seite an Seite mit den im Juni 1944 in der Normandie gelandeten alliierten Truppen.

Albert Camus selbst war aktiv an der Resistance beteiligt. 1913 in Algerien geboren, einer armen Familie entstammend, studierte er Philosophie in Algier. Eine schwere Tuberkulose verändert sein Leben: Nach überstandener Krankheit verlässt Camus sein Zuhause und stürzt sich förmlich in seine vielfältige Arbeit. 1938 wendet er sich dem Journalismus zu. Nach Ausbruch des II. Weltkrieges siedelt er nach Paris über und wird Reporter beim "France-Soir", kehrt jedoch 1941 nach Nordafrika zurück. 1943 wird Camus Mitglied der Untergrundbewegung "Combat" ("Kampf"), die eine Widerstandszeitung gleichen Namens herausgibt. Camus' Kampf in der Resistance endet siegreich im August 1944 mit der Befreiung von Paris. Der "Combat" erscheint unter seinem Schriftleiter Albert Camus nun offiziell.

Man kann heute sagen, dass es in Frankreich weder vorher noch nachher je eine Zeitung gegeben hat, die sich in Stil, Haltung, Wert der Nachrichten, Interesse der Reportagen und tiefer Achtung vor dem Leser mit dem "Combat" jener Zeit vergleichen ließe.

1947 jedoch geriet die Zeitung in Geldnot und verlor ihre Unabhängigkeit. Camus zog sich zurück und der "Combat" wurde ein durchschnittliches Blatt des linken Zentrums. Spiegelt Camus' Drama "L'Etat de Siege" vor diesem Hintergrund nun die Zeit der Besetzung Frankreichs und den Kampf des französischen Widerstands wider? Ja und nein: Den Anlass zum "Belagerungszustand" gaben sicherlich die Ereignisse in Frankreich in der Zeit von 1940 bis 1944. Aber das Thema des Dramas ist nicht auf jenes konkretes historisches Ereignis beschränkt, sondern zeit- und ortsungebunden.

Camus schreibt über seinen 1947 - ein Jahr vor dem "Belagerungszustand" - erschienenen Roman "La Peste" ("Die Pest"), seinem berühmten, dem "Belagerungszustand" nahe verwandten Werk im Jahre 1951: "Ich möchte mittels der Pest die Beklemmung, unter der wir gelitten, und die Atmosphäre der Bedrohung und des Exils, in welcher wir gelebt haben, ausdrücken. Ich möchte diese Interpretation gleichzeitig ausdehnen auf den Existenzbegriff im Allgemeinen. Die Pest soll das Bild derjenigen wiedergeben, die in diesem Krieg den Part der Reflexion, der Ruhe gehabt haben - und den des geistigen Leidens." Und weiter schreibt er 1955: "Die Pest ist in gewissem Sinn mehr als eine Chronik der Resistance. Aber mit Sicherheit ist sie nicht weniger."

Diese Äußerungen des Schriftstellers gelten ebenso für den "Belagerungszustand", womit die Dimension dieses Dramas deutlich wird: Inspiriert durch die Geschichte Frankreichs Anfang der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts macht Camus' Stück Aussagen über die Natur des Menschen, den Widerspruch von privater Erfüllung einerseits und Pflichtbewusstsein und Solidarität gegenüber den Mitmenschen andererseits, über individuelles Glück und kollektives Unglück. Es stellt persönliche Aufopferung und Hoffnung dar wie destruktiven Nihilismus, Widerstand wie Resignation, Überwindung von Totalitarismus wie die ständige Bedrohung durch diesen.

Camus führt durch die relative Zeit- und Ortsungebundenheit seines Werks - Cadiz könnte ebenso Paris oder Seoul heißen, es könnte 1944 spielen wie 1987 - dem Zuschauer die immer und überall latente Gefahr von Egoismus, Unterdrückung und Gewalt vor Augen und entlässt ihn im unwohlen Gefühl, zu wissen, dass diese Gefahr niemals vollständig besiegt werden wird und jederzeit neu heraufziehen kann.

Gerade heute erhält "Der Belagerungszustand" eine weitere schreckliche Dimension: AIDS und seine noch unabsehbaren sozialen und politischen Folgen...

Grischa Raoul Wenzeler




DER MENSCH IN DER REVOLTE

Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt. Aber wenn er ablehnt, verzichtet er doch nicht, er ist auch ein Mensch, der ja sagt aus erster Regung heraus. Ein Sklave, der sein Leben lang Befehle erhielt, findet plötzlich einen neuen unerträglich. Was ist der Inhalt dieses «Nein»? Es bedeutet zum Beispiel: «das dauert schon zu lange», «bis hierher und nicht weiten, «sie gehen zu weit» und auch «es gibt eine Grenze, die sie nicht überschreiten werden». Im Ganzen erhärtet dieses «Nein» das Bestehen einer Grenze. Dieselbe Vorstellung einer Grenze findet man in dem Gefühl des Revoltierenden, dass der andere «übertreibe», dass er sein Recht über eine Grenze erstrecke, jenseits welcher ein anderes Recht ihm entgegentritt und es beschränkt. So ruht die Bewegung der Revolte zu gleicher Zeit auf der kategorischen Zurückweisung eines unerträglich empfundenen Eindringens wie auf der dunkeln Gewissheit eines guten Rechts, oder genauer auf dem Eindruck des Revoltierenden, «ein Recht zu haben auf...» Die Revolte kommt nicht zustande ohne das Gefühl, irgendwo und auf irgendeine Art selbst Recht zu haben. Insofern sagt der Sklave im Aufstand zugleich ja und nein. Er bestätigt gleichzeitig mit der Grenze alles, was er jenseits von ihr vermutet und schützen will. Er demonstriert hartnäckig, dass es in ihm etwas gibt, das «die Mühe lohnt», das beachtet zu werden verlangt. In gewisser Weise stellt er der Ordnung, die ihn bedrückt, eine Art Recht entgegen, nicht bedrückt zu werden über das hinaus, was er zulassen kann.

Gleichzeitig mit dem Widerwillen gegen den Eindringling enthält jede Revolte eine völlige und unmittelbare Zustimmung des Menschen zu einem Teil seiner selbst. Er lässt also unausgesprochen ein Werturteil einfließen, und so wenig unverpflichtend, dass er mitten in der Gefahr an ihm festhält. Bisher schwieg et zum mindesten, jener Verzweiflung hingegeben, in welcher eine Lebensbedingung, selbst wenn man sie für ungerecht hält, hingenommen wird. Schweigen heißt glauben machen, dass man über nichts urteilt und nichts begehrt, und in gewissen Fällen heißt es in der Tat nichts wünschen. Die Verzweiflung beurteilt und begehrt wie das Absurde alles im Allgemeinen und nichts im Besonderen. Das Schweigen drückt sie gut aus. Doch vom Augenblick an, wo sie spricht, sei es auch verneinend, begehrt und beurteilt sie. Wer revoltiert, im etymologischen Wortsinn, macht kehrt. Er schritt unter der Peitsche des Herrn. Nun bietet er ihm die Stirn. Er stellt das Vorzuziehende dem Nichtvorzuziehenden gegenüber. Nicht jeder Wert löst die Revolte aus, doch jede revoltierende Bewegung ruft stillschweigend einen Wert an. Handelt es sich zum mindesten um einen Wert?

Eine Bewusstwerdung, sei sie noch so unbestimmt, wächst aus der Bewegung der Revolte: die plötzlich durchbrechende Erkenntnis, dass im Menschen etwas ist, womit der Mensch sich identifizieren kann, sei es nur eine Zeitlang. Diese Identifizierung wurde bis jetzt nicht wirklich gefühlt. Alle Erpressungen vor der Aufstandsbewegung hat der Sklave geduldet. Oft hatte er, ohne zu reagieren, empörendere Befehle erhalten als denjenigen, der seine Weigerung auslöste. Er nahm sie mit Geduld auf, sträubte sich vielleicht im Innern gegen sie, aber, da er schwieg, mehr um sein unmittelbares Interesse bekümmert als seines Rechtes schon bewusst. Mit dem Verlust der Geduld, mit der Ungeduld, beginnt im Gegenteil eine Bewegung, die sich auf alles erstrecken kann, was vorher hingenommen wurde. Dieser Aufschwung ist fast immer rückwirkend. Im Augenblick, da er den demütigenden Befehl seines Oberen zurückweist, weist der Sklave auch sein Sklavendasein zurück. Die Bewegung der Revolte tragt ihn über den Punkt seiner einfachen Weigerung hinaus. Er überschreitet sogar die Grenze, die er seinem Gegner gezogen, indem er jetzt als Ebenbürtiger behandelt zu werden verlangt. Was zuerst ein unbeugsamer Widerstand des Menschen war, wird nun der ganze Mensch, der sich mit ihm identifiziert und sich darin erfüllt. Diesen Teil seiner selbst, dem er Respekt verschaffen wollte, stellt er nun über den Rest und verkündet laut, ihn allem, selbst dem Leben, vorzuziehen. Er wird für ihn das höchste Gut. Verharrte er zuvor in einem Kompromiss, so wirft sich der Sklave mit einem Schlag jetzt („da es ja so ist..“) an das Alles oder Nichts. Das Bewusstsein tritt zusammen mit der Revolte an den Tag.

Zunächst jedoch sehen wir hier den ersten Fortschritt, den der Geist der Revolte auf ein Denken ausübt, das anfänglich von der Absurdheit und der scheinbaren Sterilität der Welt durchdrungen war. In der Erfahrung des Absurden ist das Leid individuell. Von der Bewegung der Revolte ausgehend, wird ihm bewusst, kollektiver Natur zu sein; es ist das Abenteuer aller. Der erste Fortschritt eines von der Befremdung befallenen Geistes ist demnach, zu erkennen, dass er diese Befremdung mit allen Menschen teilt und dass die menschliche Realität in ihrer Ganzheit an dieser Distanz zu sich selbst und zur Welt leidet. Das Übel, welches ein Einzelner erlitt, wird zur kollektiven Pest. In unserer täglichen Erfahrung spielt die Revolte die gleiche Rolle wie das <Cogito> auf dem Gebiet des Denkens: sie ist die erste Selbstverständlichkeit. Aber diese Selbstverständlichkeit entreißt den einzelnen seiner Einsamkeit. Sie ist ein Gemeinplatz, die den ersten Wert auf allen Menschen gründet. Ich empöre mich, also sind wir.

Aus: Albert Camus, "Der Mensch in der Revolte" - Hamburg 1953



Revolte

Diese Auflehnung gibt dem Leben seinen Wert. Erstreckt sie sich über die ganze Dauer einer Existenz, so verleiht sie ihr ihre Größe. Für einen Menschen ohne Scheuklappen gibt es kein schöneres Schauspiel als die Intelligenz im Kampf mit einer ihr überlegenen Wirklichkeit. Das Schauspiel des menschlichen Stolzes ist unvergleichlich. Alle Erwartungen können ihm nichts anhaben. Diese Zucht, die der Geist sich selber vorschreibt, dieser gehörig gehämmerte Wille, dieses Aug-in-Auge haben etwas Einzigartiges. Diese Wirklichkeit, deren Unmenschlichkeit die Größe des Menschen ausmacht, entleeren heißt: gleichzeitig sich selber entleeren. Ich verstehe also, warum die Doktrinen, die mir alles erklären, mich gleichzeitig schwächen. Sie befreien mich von dem Gewicht meines eigenen Lebens, und ich muss es dennoch allein ertragen. An dieser Wegbiegung kann ich nicht begreifen, dass eine skeptische Metaphysik sich mit einer Moral des Verzichts verbinden kann.

Bewusstsein und Auflehnung — diese abschlägigen Antworten sind das Gegenteil von Verzicht. Allen Eigensinn und alle Leidenschaft, deren ein menschliches Herz fähig ist, beleben sie mit ihrem Leben. Es geht darum, unversöhnt und nicht aus freiem Willen zu sterben. Der Selbstmord ist ein Verkennen. Der absurde Mensch kann nur alles ausschöpfen und sich selber erschöpfen. Das Absurde ist seine äußerste Anspannung, an der er beständig mit einer unerhörten Anstrengung festhält; denn er weiß: in diesem Bewusstsein und in dieser Auflehnung bezeugt er Tag für Tag seine einzige Wahrheit, die Herausforderung. Das ist eine erste Schlussfolgerung.

Aus:   Albert Camus,   "Der Mythos von Sisyphos"; Düsseldorf 1956


ALBERT CAMUS: WARUM SPANIEN?

ANTWORT AN EINEN KRITIKER

Ich will hier nur auf zwei Stellen des Artikels antworten, den Sie in den "Nouvelles Littéraires" über den "Belagerungszustand" veröffentlicht haben. Wenn man es sich einfallen lässt, ein Stück auf die Bühne zu bringen, setzt man sich wissentlich der Kritik aus und nimmt das Urteil seiner Zeit entgegen. Indessen haben Sie Ihre Rechte als Kritiker überschritten, als Sie Ihrem Erstaunen darüber Ausdruck gaben, dass ein Stück über die totalitäre Tyrannei in Spanien spiele, während es Ihrer Ansicht nach viel eher nach Osteuropa gehöre. Und Sie lösen mich erst recht von meiner Schweigepflicht, indem Sie schreiben, es handle sich hier um einen Mangel von Mut und Ehrlichkeit.

Das Stück spielt in Spanien, weil ich beschlossen habe, dass dem so sein solle. Ich wollte eine Art politische Gesellschaft angreifen, die sich rechts und links nach totalitärem Muster gebildet hat oder bildet. Kein unvoreingenommener Zuschauer kann bezweifeln, dass das Stück für das Individuum einsteht, für das Fleisch in seinem Adel, kurzum für die irdische Liebe, gegen die Abstraktion und die Schrecken des totalitären Staates, sei er nun russisch, deutsch oder spanisch. Nun, das ist klar - warum Spanien? Ich muss gestehen, dass ich mich ein bisschen schäme, an Ihrer Stelle die Frage aufzuwerfen. Warum Guernica? Warum jenes Stelldichein, wo Hitler, Mussolini und Franco, einer noch in ihrer armseligen Moral dösenden Welt spottend, zum ersten Mal Kindern vor Augen führen, was totalitäre Technik ist?

Zürn ersten Mal stießen die Menschen meiner Generation in der Geschichte auf den Triumph der Ungerechtigkeit. Warum Spanien? Weil ein paar unter uns sind, die sich angesichts dieses Triumphes die Hände nicht in Unschuld waschen. Welche Gründe der Antikommunismus auch haben mag, so können wir doch diese Einstellung nicht akzeptieren, solange sie in ihrer Ausschließlichkeit so weit geht, jene Ungerechtigkeiten zu vergessen, die mit dem stillen Einverständnis unserer Regierungen weiterdauert. Ich habe so laut wie möglich gesagt, was ich von den russischen Konzentrationslagern halte. Aber darüber vergesse ich Dachau und Buchenwald nicht und nicht den namenlosen Todeskampf von Millionen von Menschen, so wenig wie die grauenvolle Unterdrückung, die die spanische Republik heimgesucht hat. Ja, ungeachtet der mitleidigen Herablassung unserer großen Politiker muss das alles zusammen an den Pranger gestellt werden. Und ich werde diese abscheuliche Pest in Westeuropa nicht entschuldigen, weil sie im Osten größere Räume verheert.                                        %

Wenn ich den "Belagerungszustand" neu schreiben müsste, würde ich ihn wiederum in Spanien spielen lassen, das ist mein Schluss. Und morgen wie heute wäre es jedermann klar, dass die darin ausgesprochene Verdammung durch Spanien hindurch alle totalitären Gesellschaften trifft. Aber zumindest nicht um den Preis einer schmählichen Beihelferschaft. So, und nur so können wir uns das Recht bewahren, gegen den Terror zu protestieren. Wir sind eine kleine Schar, die nichts schweigend hinnehmen will. Unsere ganze politische Gesellschaft bereitet uns Übelkeit. Und so wird es kein Heil geben, bis alle, die noch einen gewissen Wert besitzen, sich in ihrer Gesamtheit von ihr abgewendet haben, um den Weg der Erneuerung anderswo als in unlösbaren Widersprüchen zu suchen. Bis dann muss gekämpft werden. Aber mit dem Wissen, dass die totalitäre Tyrannei nicht auf den Tugenden der Totalitären aufgebaut wird, sondern auf den Fehlern der Liberalen! Die Fehler rechtfertigen schließlich das Verbrechen und verschaffen ihm sein Alibi. Dann treiben sie das Opfer der Verzweiflung in die Arme und werden dadurch zur Schuld.

Und das eben kann ich der zeitgenössischen politischen Gesellschaft nicht verzeihen, dass sie eine Einrichtung ist, die die Menschen zur Verzweiflung treibt.

Aus: Albert Camus, "Verteidigung der Freiheit - Politische Essays"; Reinbek bei Hamburg 1968



TEXTAUSZUG AUS "DIE PEST

Der folgende Auszug aus Camus' Roman "Die Pest" gibt einen Dialog wieder zwischen dem sich um die Pestkranken kümmernden Doktor Rieux und dem Journalisten Rambert, der sich zufällig in der nordafrikanischen Stadt Oran befindet, als wegen der plötzlich aufgetretenen Pestseuche die Tore der Stadt geschlossen werden.

"Drei Wochen nach der Abriegelung der Stadt traf Rieux am Ausgang des Spitals einen jungen Mann, der auf ihn wartete und ihn mit den Worten ansprach: "Ich vermute, dass Sie mich wiedererkennen." Rieux glaubte, ihn zu kennen, doch er zögerte. "Ich bin vor diesen Ereignissen zu Ihnen gekommen", fing der andere wieder an, "um Sie über die Lebensbedingungen der Ara­ber um Auskunft zu bitten. Mein Name ist Raymond Rambert." "Ach natürlich!" sagte Rieux. "Nun, jetzt haben Sie ja ein schönes Thema für einen Bericht."

Der andere schien erregt. Er erklärte, es handle sich nicht darum, sondern er sei gekommen, um Dr. Rieux um einen Gefallen zu bitten. Und er fügte hinzu:

"Es tut mir leid, aber ich kenne niemand in dieser Stadt, und der hiesige Mitarbeiter meiner Zeitung hat das Unglück, schwachsinnig zu sein." (...)

Während sie durch die steilen Straßen zwischen den blauen, braungelben und violetten Wänden der maurischen Häuser dahin schritten, sprach Rambert in großer Erregung. Er hatte seine Frau in Paris gelassen. (...) Er hatte ihr sofort gekabelt, als die Stadt geschlossen wurde. Zuerst hatte er geglaubt, es handle sich um ein vorübergehendes Ereignis, und er hatte nur versucht, schriftlich mit ihr in Verbindung zu bleiben. (...)

Aber am Morgen beim Aufstehen war ihm plötzlich eingefallen, dass er ja eigentlich gar nicht wusste, wie lange das dauern konnte. Er hatte beschlossen, abzureisen. Da er gute Empfehlungen hatte (...), konnte er an einen Abteilungsvorsteher der Präfektur gelangen und ihm klarmachen, dass er keine Beziehung zu Oran habe, nicht hier zu bleiben gedenke, nur zufällig hierher geraten sei, und dass es deshalb nur gerecht wäre, wenn man ihm erlaube, fortzugehen, selbst wenn er sich nach Verlassen der Stadt einer Quarantäne unterziehen müsste. Der Vorsteher hatte ihm versichert, er begreife ihn sehr gut, doch könne man keine Ausnahmen machen. Er werde sich seiner annehmen, aber die Lage sei eben sehr ernst, und man könne nichts mit Bestimmtheit sagen.

"Aber", hatte Rambert eingeworfen, "schließlich bin ich doch fremd in dieser Stadt."

"Gewiss, aber wir wollen nur hoffen, dass die Seuche nicht lange dauert."

"Es ist stumpfsinnig, verstehen Sie,  Herr Doktor?  Ich bin nicht in die Welt gesetzt worden, um Berichte zu schreiben. Aber vielleicht bin ich in die Welt gesetzt worden, um mit einer Frau zu leben. Ist das nicht natürlich?" Rieux sagte, dass es auf jeden Fall vernünftig erscheine. (...)

"Aber ich langweile Sie", fuhr Rambert fort, "ich wollte Sie bloß fragen, ob Sie mir nicht bescheinigen könnten, dass ich diese verdammte Krankheit nicht habe. Ich glaube, das würde mir nützen." (...)

"Ich versichere Ihnen, dass ich Sie verstehe." sagte Rieux schließlich. "Aber Ihre Überlegungen sind unrichtig. Ich kann Ihnen diese Bescheinigung nicht ausstellen, weil ich in Wahrheit tatsächlich gar nicht weiß, ob Sie die Krankheit haben oder nicht, und weil es mir in diesem Fall sogar unmöglich wäre, zu bestätigen, dass Sie nicht angesteckt werden, während Sie von meinem Untersuchungszimmer zur Präfektur gehen. Und selbst wenn..."

"Und selbst wenn?" fragte Rambert.

"Und selbst wenn ich Ihnen dies Zeugnis gäbe, würde es Ihnen nichts helfen." "Warum nicht?"

"Weil in dieser Stadt Tausende in Ihrer Lage sind und man sie doch nicht fortlassen kann." "Aber wenn Sie selbst die Pest nicht haben?"

"Das ist kein genügender Grund. Ich weiß wohl, dass diese Geschichte unsinnig ist, aber sie betrifft uns alle. Man muss sie nehmen, wie sie ist."

"Aber ich bin doch nicht von hier!"

"Leider werden Sie von jetzt an von hier sein wie alle anderen auch."

Rambert eiferte: "Ich schwöre Ihnen, es ist eine Frage der Menschlichkeit. Vielleicht machen Sie sich nicht klar, was eine Trennung wie die gegenwärtige für zwei Menschen bedeutet, die sich gut verstehen."

Rieux antwortete nicht sogleich. Dann sagte er, er glaube, sich darüber klar zu sein. Er wünsche von ganzem Herzen, dass Rambert seine Frau wiederfinde, und dass alle Liebenden vereint würden, aber es gebe Erlasse und Gesetze, es gebe die Pest. Seine Aufgabe bestehe darin, zu tun, was notwendig sei. "Nein", sagte Rambert bitter, "Sie können nicht verstehen. Sie reden die Sprache der Vernunft, Sie sind in der Abstraktion." Der Arzt hob die Augen und sagte, er wisse nicht, ob er die Sprache der Vernunft rede, doch sei es wohl die Sprache der Tatsachen, und das sei nicht unbedingt das gleiche. Der Journalist rückte seinen Schlips zurecht und antwortete: "Das heißt also, dass ich mich anders durchschlagen muss? Jedenfalls werde ich diese Stadt verlassen", fügte er fast herausfordernd hinzu.

Der Arzt sagte, er verstehe auch das, aber es gehe ihn nichts an.

"Doch, es geht Sie an", erklärte Rambert mit plötzlicher Heftigkeit. "Ich bin zu Ihnen gekommen, weil mir gesagt wurde, dass Sie die Verordnungen weitgehend mitbestimmt haben. Da habe ich gedacht, dass Sie wenigstens für einmal das lösen könnten, was Sie knüpfen halfen. Aber das ist Ihnen gleichgültig. Sie haben an niemand gedacht. Sie haben nicht mit denen gerechnet, die getrennt waren."

Rieux gab zu, dass dies in gewissem Sinn wahr sei, er habe nicht damit rechnen wollen.

"Aha", sagte Rambert, "ich verstehe. Sie wollen vom Dienst an der Öffentlichkeit sprechen. Aber das Wohl des Volkes setzt sich aus dem Glück der einzelnen Bürger zusammen." "Hören Sie", sagte der Arzt, der aus seiner Gedankenverlorenheit zu erwachen schien, "es gibt außerdem noch etwas anderes. Man darf nicht richten. Aber Sie haben unrecht, wenn Sie böse werden. Wenn Sie aus dieser Sache herauskommen, werde ich sehr glücklich sein. Nur gibt es eben Dinge, die mein Amt mir untersagt."

Der andere schüttelte ungeduldig den Kopf.

"Gewiss, ich habe unrecht, mich zu ärgern. Und zudem habe ich Sie gerade lange genug aufgehalten."

Rieux bat, er möge ihn über seine Schritte auf dem Laufenden halten und keinen Groll gegen ihn hegen. Es gebe sicher eine Ebene, auf der sie sich finden könnten. Rambert schien betroffen und sagte nach einem Schweigen:

"Ich glaube es, ja, ich glaube es ohne es zu wollen und trotz allem, was Sie mir gesagt haben." Er zögerte: "Aber ich kann Ihnen nicht beipflichten."

Er drückte seinen Hut in die Stirn und entfernte sich mit raschen Schritten. (...)

Nach einem Augenblick schüttelte der Arzt den Kopf. Rambert hatte recht mit seinem ungeduldigen V/erlangen nach Glück. Aber hatte er auch recht, wenn er ihn anklagte? "Sie leben in der Abstraktion." War das wirklich die Abstraktion, all die Tage, die er im Spital verbrachte, wo die Pest immer gefräßiger wur­de und jede Woche durchschnittlich fünfhundert Opfer forderte? Ja, es gab in dem Elend einen Teil Abstraktion und Unwirklichkeit. Aber wenn die Abstraktion anfängt, einen zu töten, dann muss man sich wohl oder übel mit ihr beschäftigen. Und Rieux wusste nur, dass es nicht leicht war. (...)

Am Morgen leitete Rieux selbst die Aufnahme der Kranken, impfte sie, schnitt die Beulen auf, überprüfte noch die Statistik und empfing dann am Nachmittag die Patienten, die ihn aufsuchten. Am Abend machte er schließlich seine Besuche und kehrte spät in der Nacht zurück. Am Vorabend hatte Dr. Rieux' Mutter ihm ein Telegramm seiner Frau hingestreckt und dabei bemerkt, wie seine Hände zitterten."

Aus: Albert Camus, "Die Pest";

Rowohlt-Verlag, Hamburg 1950

Im Verlaufe des Romans gibt Rambert seine Absicht auf, Oran zu verlassen und hilft stattdessen Rieux im Kampf gegen die Pest.





TRAUM DES BÖSEN

(3. Fassung)

Verhallend eines Sterbeglöckchens Klänge -
Ein Liebender erwacht in schwarzen Zimmern,
Die Wang' an Sternen, die am Fenster flimmern.
Am Strome blitzen Segel, Masten, Stränge.

Ein Mönch, ein schwangres Weib dort im Gedränge.
Gitarren klimpern, rote Kittel schimmern.
Kastanien schwül in goldenem Glanz verkümmern;
Schwarz ragt der Kirchen trauriges Gepränge.

Aus bleichen Masken schaut der Geist des Bösen.
Ein Platz verdämmert grauenvoll und düster;
Am Abend regt auf Inseln sich Geflüster.

Des Vogelfluges wirre Zeichen lesen
Aussätzige, die zur Nacht vielleicht verwesen.
Im Park erblicken zittern sich Geschwister.

Aus: Georg Trakl, "Das dichterische Werk", dtv


POE: DIE MASKE DES ROTEN TODES

Der 'Rote Tod' hatt' lang das Land verheert. Nicht eine Pestilenz je war so voll Verderben, so scheußlich graus gewesen. Blut war ihr Avatara und Sigill - die Rotglut und der Herrer Bluts. Schneidende Pein trat ein und jäher Schwindel - und dann, aus allen Poren überflutend, Blutfluss, mit Tods Zersetzung. Scharlachene Flecken auf dem Leib und auf besonders dem Gesicht des Opfers warn der Plage Bann, der es von Hülfe und von Mitgefühl der Nebenmenschen ausschloss. Und erster Anfall, Fortgang und das Ende der Seuche warn dann das Werk kaum einer halben Stunde. (...)

Als (des Fürsten) Lande halb entvölkert waren, forderte er wohl tausend (...) Freunde unter den Rittern und Damen seines Hofes vor sein Angesicht, und mit ihnen zog er sich in die tiefe Abgeschiedenheit einer seiner befestigten Abteien zurück. (...) Da sie nun einzogen, brachten die Höflinge Schmelzöfen und massige Hämmer herbei und verschweißten die Riegelbolzen. Es sollte, so beschloss man, weder für Eindrang von draußen dort noch für Entweichen hier dem jähen Antrieb von Verzweiflung oder von Tollsucht gar ein Mittel belassen werden. (...)

Es ging gegen Ende des fünften oder sechsten Monds seiner Zurückgezogenheit, da vereinte Fürst Prospere, indessen drauß die Pestilenz am wildesten wütete, all seine tausend Freunde auf einen Maskenball von allerhöchster Pracht. (...) Doch erst noch seien die Räume geschildert, in denen es so wild gefeiert ward. (...) Das siebente Gemach war dicht verhüllt von schwarzen Samtverhängen, die hoch an den Wänden nieder auf einen Teppich von gleichem Material und gleicher Färbung fielen. (...) Hier waren die Scheiben scharlachrot tief blutigfarben. (...) Doch in dem westlichen oder schwarzen Gemach war die Wirkung des Feuerscheins, der durch die blutig getönten Scheiben hin auf die düsteren Behänge strömte, schier geisterbleich und grässlich im Extrem und brachte auf die Züge aller, die es betraten, solch einen wilden Blick, dass wenige von der Gesellschaft den Mut besaßen, auch nur den Fuß in sein Bereich zu setzen.

In diesem Gemach auch war es, dass an der westlichen Wand sich eine gigantische Standuhr aus Ebenholz erhob. Ihr Pendel schwang her und hin mit dumpfen, wuchtig monotonem Schall; und wenn des großen Zeigers Kreisbahn auf dem Zifferblatt beendet und eine neue Stunde auszuschlagen war, kam von den messingen Lungen der Uhr ein Laut, klar, tief und überaus harmonisch, doch von so sonderlichem Tongedröhn, dass stets bei jedem Stundenschlag die Musikanten des Orchesters für einen Augenblick doch zu verhalten gezwungen warn in ihrer Darbietung, um dem Geräusch zu lauschen; (...) und kurze Verlegenheit befiel die ganze ausgelassene Gesellschaft; (...)

Und wieder schlägt die ebenholze Uhr, die in der Halle von Sammet steht. Und dann, für einen Augenblick, ist alles still, und alles schweigt bis auf der Standuhr Stimme. Die Träume sind wie im Frost erstarrt, wie sie grad eben stehen. Doch die Echos der Glocke sterben dahin - sie haben nur einen Augenblick gedauert - und locker loses, halb noch unterdrücktes Gelächter flutet hinter ihnen nach, da sie verscheiden. Und nun schwillt die Musik auch wieder auf, und es beleben sich die Träume neu und drehn sich munterer als je dahin (...) Lind das Gelag nahm wirbelnd seinen Fortgang bis endlich von der Uhr der Schall der Mitternacht begann. Und da verstummte die Musik, wie ich's erzählte; und die Bewegungen der Walzertänzer kamen zur Ruhe; und klamm beklommenes Stillstehen aller Dinge war wie zuvor. Nun aber musste der Schlag der Uhr zwölf Mal erschallen; und so vielleicht geschah's, dass mehr Gedankenschwere, und für längre Zeit, sich in den Sinn des Nachbedenklicheren unter den Schwelgern schlich. Und so, Vielleicht, geschah es auch, dass, eh' das letzte Echo des letzten Glockenschwalls noch eigentlich verschollen, schon viele einzeln in der Menge waren, die Muße, gefunden hatten, einer maskierten Gestalt gewahr zu werden, deren Gegenwart zuvor nicht eines Obacht angezogen hatte. Und kaum war das Gerücht ''von dieser neuen Erscheinung flüsternd rund verbreitet, da erhob sich schließlich von der ganzen Gesellschaft ein Summen und Gemurr der Missgehaltenheit und Überraschung - dann, endlich, gar des Schreckens, Grausens, Ekels. (...)

Tatsächlich waren der Maskenfreiheit der Nacht nahezu keine Grenzen gesetzt; doch die fragliche Gestalt hatte selbst noch Herodes übertroffen und war weit über selbst das unbeschränkte Dekorum des Fürsten hinausgegangen. Es sind Saiten in den Herzen auch der Leichtsinnigsten, welche nicht ohne Gemütsauf­wallung berührt werden können. Selbst für den, der auf immer verloren, dem Leben und Tod gleicher Weise für Scherz gelten, gibt es Dinge, mit denen kein Scherz mehr sich treiben lässt. Tatsächlich schien die ganze Gesellschaft nun zutiefst zu empfinden, dass in Verkleidung und Betragen des Fremden weder Witz noch Schicklichkeit zu finden war. Die Gestalt war hoch und hager und war von Kopf bis Fuß in die Laken des Grabs gehüllt. Die Maske, welche das Gesicht verbarg, war in allen Zügen so ähnlich einem starren Leichenantlitz nachgebildet, dass auch die gründlichste Prüfung hätte Schwierigkeit haben müssen, den Betrug zu entdecken. Und doch hätte all dies bei den tollen Schwelgern in der Runde wohl noch Duldung gefunden, wenn nicht gar Beifall. Doch der Vermummte war so weit gegangen, die Urgestalt des Roten Todes anzunehmen. Seine Gewandung war von BLUT bespritzt - und seine breite Stirn, mit allen Zügen des Gesichts, sprenkelte der scharlachene Schrecken. (...)

Es war im blauen Zimmer, wo der Fürst stand, eine Gruppe erbleichter Höflinge zur Seite. Zuerst noch (...) entstand eine leicht hastige Bewegung in dieser Gruppe, als wollte man sich auf den Eindringling stürzen, der im Augenblick auch nah zur Hand war und nun, mit stolzem und bedächtigem Schritt, noch näher auf den (Fürsten) zutrat. Doch bei dem namenlosen Grauen, dass die wahnwitzigen Anmaßungen des Vermummten der ganzen Gesellschaft eingehaucht hatten, fand sich niemand, der auch nur die Hand nach ihm ausgestreckt hätte, ihn zu ergreifen; so dass er, unbehindert, bis auf eine Elle an des Fürsten Person herantrat; und indessen die gewaltige Versammlung, wie unter einem einzigen Bewegtrieb, aus der Mitte der Räume an die Wände zurückwich, nahm er seinen Weg ununterbrochen, doch mit dem gleichen feierlich gemessnen Schritt, der ihn von allem Anfang ausgezeichnet, hin durch... (die Gemächer) ... Doch dann geschah's, dass der Fürst Prospere, rasend vor Zorn und Scham ob seiner eigenen momentanen Feigheit, in Eile durch die sechs Gemächer stürzte, derweil ihm niemand nachzufolgen wagte, auf Grund eines tödlichen Entsetzens, dass sich aller bemächtigt hatte. Hochauf erhoben trug er einen gezogenen Dolch, und schon war er, in wildem Ungestüm, auf drei, vier Schritt dem Weichenden nahe gekommen, da wendete sich die Gestalt, nachdem die jetzt das äußerste Gemach gewonnen, das von schwarzem Samt, jählich herum, um dem Verfolger standzuhalten. Ein greller Schrei erscholl - und der Dolch fiel funkelnd auf den düsterschwarzen Teppich nieder, auf den im Augenblick danach im Tode der Fürst Prospere hinstürzte. Da warf sich, mit dem tollen Mute der Verzweiflung, ein Häuf der Festgäste mit einem Male in das schwarze Gemach, und indem sie den Vermummten packten, dessen hohe Gestalt aufrecht und reglos stand im Schatten der Uhr von Ebenholz, befiel ein unaussprechlich Grauen sie, da sie die Grabeslaken und die leichengleiche Maske, die sie so rüde ungestüm anfassten, unbewohnt fanden von jeglicher greifbarn Gestalt.

Nun ward die Gegenwart des Roten Todes erkannt. Wie in der Nacht ein Dieb war er gekommen. Und einer nach dem anderen sanken die Gäste nieder hin in den blutbetauten Hallen ihres Schwelggelags, und starb ein jeglicher in seines Falls Verzweiflungshaltung. Und in der ebenholznen Uhr verlosch das Leben mit dem desletzten dieser Fröhlichen. Und die Flammen der Dreifüße verglommen. Und Finsternis und Verfall kam, und der Rote Tod hielt grenzenlose Herrschaft über allem.

Aus: Edgar Allan Poe, "Die Maske des Roten Todes", Das gesamte Werk in 10 Bänden, Bd. 2; Manfred Pawlak Verlagsgesellschaft m.b.H.


WIR ÜBER S.E.K. III

1979 hatte Horst Riemenschneider, Deutsch- und Literaturlehrer am Lise-Meitner-Gymnasium in Düsseldorf, die Idee, den konventionellen Rahmen des Deutschunterrichts innerhalb eines Aufbaukurses Deutsch zu sprengen, und mit Schülern der Mittelstufe ein Theaterstück zu inszenieren.

Die Aufführung des Stücks "Romulus der Große" von Friedrich Dürrenmatt war das erfolgreiche Ergebnis dieses Versuchs.

Hierdurch angespornt, beschloss die Gruppe, mit Hilfe von Herrn Riemenschneider die Theaterarbeit in der Freizeit fortzusetzen. Dieser feste Kern von Schülern wurde bald ergänzt durch immer neue Spielwillige und solche, die hinter der Bühne arbeiten wollten. Es entstanden dabei folgende Produktionen:

"Der Hofmeister" (Jakob Michael Reinhold Lenz)

"Figaro lässt sich scheiden" (Odön von Horvath)

"Die Hochzeit des Figaro" (Caron de Beaumarchais)

1985 erfolgte dann eine Zäsur: die meisten Mitwirkenden beendeten ihre Schullaufbahn. Daraufhin wollte man die Arbeit als freie Düsseldorfer Theatergruppe fortsetzen und nannte sich von nun an S.E.K. III/Sekundarstufe III).

Unter diesem Namen entstanden die Produktionen "Trilogie des Wiedersehens" von Botho Strauß und "Der neue Prozess" von Peter Weiss, die unter anderem im JUTA, zuletzt innerhalb des Festivals "Erste Flugversuche" 1986 aufgeführt wurden.

Der besondere Erfolg des Peter-Weiss-Stücks  veranlasste  die Gruppe, für das diesjährige Festival "Machtspiele" ein neues  Drama zu inszenieren. “Der Belagerungszustand" von Albert Camus.      


ABRAHAM A SANTA CLARA:

LASS STERBEN DEN LEIB - WAS LIEGT DARAN?

Also, wenn ich schon stirb an der Pest, so ist dies kein elender Tod, da fern nur die Gnad Gottes in mir lebt, ist doch der heilige Ludovicus, König in Frankreich, an dieser leidigen Sucht gestorben. Daher lass sterben den Leib im Feuer oder in Luft oder im Wasser oder auf Erden, was liegt daran? Lass sterben den Madensack, diesen Mistfinken, dieses Wurmnest, dieses Leim­haus, diesen Knollfinken, diese Kotbutten, dieses Eitergeschirr, diesen Erdschollen. Lass sterben ein mächtiges Wesen! lass verderben, er ist nicht zu bedauern, müsst nur sein, dass man etwa einer Mistbutten einen schwarzen Flor sollt anhängen, damit's für ihn die Klage trage. Spricht gar schön von dem schädlichen Leib der claravallensische Abt Bernardus: "Mein Mensch, wenn du erwägst, was du durch das Maul, durch die Nasen, durch die Ohren und durch die übrigen Leibespforten für ein Unflat ausführst, kannst doch keinen garstigeren Misthaufen nicht antreffen als dich."

Lass demnach sterben den Leib, dieses Krankenspital, diese kleine Portion Erde; wie, wo, wann, wodurch er stirbt, liegt nichts daran; aber das bitt ich dich um des Blutes Jesu Christi, das bitt ich dich um deiner Seele Seligkeit willen, mit aufgehobenen Händen schreie ich vor dir, ja in beide Ohren, du wolltest die Seel nicht sterben lassen, die Seel, dieses künstliche und köstliche Ebenbild Gottes, die Seel, dieses kostbare und schätzbare Kleinod Gottes, die Seel, diese friedliche und freundliche Schwester der Engel, diese, o Mensch, lass nit sterben, welches da geschieht durch eine freiwillige Todsünde - dieser Tod allein ist ein Elend.

Aus: Abraham a Santa Clara: "Hui und Pfui der Welt", München 1963


Albert Camus                Der Belagerungszustand

Premiere 25. 06.1987     JUTA (Junges Theater in der Altstadt)

S.E.K. III - Das Ensemble in Bildern

Personen

Darsteller

Die Pest

Zoltan Budai

Die Sekretärin

Stephanie Kratz

Victoria

Marion Winter

Diego

Grischa Raoul Wenzeler

Nada

Marc Petermann

Der Gouverneur

Stephan Ruser

Der Richter

Christopher Schmidt

Der Astrologe

Christopher Schmidt

Die Frau des Richters

Susanne Schiefke

Die zweite Tochter des Richters

Susanne Riemenschneider

Der Sohn des Richters

Pascal Heithorn

Der Alkalde

Ralf Krüger

Ein Herold

Ralf Arnold

Der Schiffer

Der Mann

Die Frau

Swantje van Hettinga Voß

Der Pfarrer

Antonius Klees

Der Fischer

Tobias Armbrüster

Die Frauen von Cadiz

Svenja Maas, Nora Schümann, Melanie Wankell

Die Männer von Cadiz

Christian Baumann, Stefan Kochwatsch

STAB
Beleuchtung Jörg Ebel
Bühnenbild Olav Sehlbach

Kostüme

Stephanie Kratz, Marion Winter
Maske Susanne Schwan, Gabi Reuland
Plakat Christopher Schmidt
Programmheft Grischa Raoul Wenzeler, Stephanie Kratz, Christopher Schmidt, Zoltan Budai
Souffleuse Anne Blankenberg  
Ton Olav Sehlbach, Patrick Kuhlmann
Pressemappe Grischa Raoul Wenzeler
Werbung Susanne Riemenschneider
Regie Horst Riemenschneider

Aufführungsdauer: 2 1/2 Stunden

Pause nach dem 12. Bild


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