Theater 1986 am LMG


BUNBURY oder Es ist wichtig, ernst zu sein.

BUNBURY oder Es ist wichtig, ernst zu sein.

Programmheft zur Theateraufführung des Literaturkurses des Lise - Meitner –Gymnasiums

INHALT

Der Literaturkurs

Besetzung und Stab

Zusammenfassung des Stückes

Entstehungsgeschichte des Werkes

Kohlmeiers Übersetzung

Ein Portrait von Wilde/ eine seiner Balladen

Wildes Lebenslauf

Sein Geburtsort

Wilde über Wilde

Oscar Wilde - "one of thousand lifeless numbers"

...und damit werden wir konfrontiert...

Wilde über Bunbury

Der Dandy

Kritiken

Ein Gedicht von Wilde

Seine Anschauungen über Kunst/Natur

und über Sozialismus/Individualismus

Zur Form von"Bunbury"

Der Stil Oscar Wildes

Impressum:
Artikel, Zusammenstellung von Texten: Martina Pauls, Petra Bieler, Simone Orzalesi, Dorothee Wozniak, Natascha Milicevic


Der Literaturkurs

Die Idee unseres Lehrers an Stelle von theoriebezogenem Unterricht ein Theaterstück auf die Beine zu stellen, fand bei uns großen Anklang. "Uns" - dieses Pronomen steht nicht etwa für eine homologe Gruppe, denn die Schüler, die sich zu diesem Projekt eingefunden hatten, besaßen sehr unterschiedliche Motivationen: Die einen mussten schlicht den künstlerischen Pflichtbereich abdecken, während andere gezielt den Kurs wähl­ten, um am besagten Projekt teilnehmen zu können Von letzteren waren einige durch ihre Erfahrungen in der Theater-AG, die ebenfalls von Herrn Riemenschneider, unserem Kursleiter ins Leben gerufen wurde, dazu angeregt.

Die erste Frage, die wir uns stellen mussten, war, welches Stück wir eigentlich spielen wollten. Nach einer Zeit des Probelesens und Probespiels, untermauert von Diskussionen, stand unser Entschluss fest:

Die Komödie "Bunbury" wollten wir zur Aufführung bringen.

Der Autor dieses Stückes, Oscar Wilde, zeichnete sich durch eine eklatante, provokative Persönlichkeit aus.

Sein Werk "Bunbury" brach mit allen Konventionen seiner Zeit, zog die viktorianische Gesellschaft durch die Entlarvung ihrer Doppelmoral (Widerspruch Schein/Sein) ins Lächerliche, doch lassen sich durchaus Parallelen zur heutigen Zeit finden.

Nach der Stückauswahl wurden wir mit der komplexen Organisation eines Theaterstücks und dem großen Arbeitsaufwand, der ein ausgeprägtes Engagement erforderte, konfrontiert. Zum Teil reichte die Unterrichts­zeit nicht aus, um die Aufgaben (Bühnenbild, Beleuchtung, Ton, Plakat, Kostüme, Requisite, Programmheft, ganz zu schweigen von dem Arbeitsaufwand der Schauspieler) zu bewältigen.

Da „Aggressionen in der Gruppe auftraten (Zitat eines Schülers), regte uns Herr Riemenschneider zu sogenannten "Vertrauensübungen" an, d.h. wir führten uns wechselseitig mit geschlossenen Augen durch einen mit Hindernissen angefüllten Raum.

Nichtsdestotrotz kam es zu Koordinationsschwierigkeiten zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen.

Es ist nun einmal nicht einfach, dem neuen Anspruch, wirklich miteinander in der Schule zu arbeiten, gerecht zu werden. Das Lernfach "Kooperatives Lernen" wird leider auf konventionellen Schulen nicht angeboten. (Man denke an Walldorfschulen etc.)

Doch zeigt unser Projekt, dass es ein größeres Spektrum an Möglichkeiten zur Unterrichtsgestaltung gibt, die nicht nur die Vermittlung von Bildung und Wissen zulässt, sondern auch pädagogisch wirksam ist.


Der Literaturkurs der Jahrgangsstufe 13 des Lise-Meitner Gymnasiums zeigt:

BUNBURY oder Es ist wichtig, ernst zu sein.

Eine triviale Komödie für ernsthafte Leute

von Oscar Wilde in der Übersetzung von Rainer Kohlmayer

Personen und ihre Darsteller:

John Worthing, Friedensrichter

Grischa Wenzeler

Algernon Moncrieff

René le Riche

Pastor Chasuble, Dr.theol.

Antonius Klees

Merriman, Butler

Gerhard Neupert

Lane, Diener

Hans Leidinger

Lady Bracknell

Marion Winter

Honourable Goendolen Fairfax

Dina Spiegel

Cecily Cardew

Elke Haarmann

Miss Prism, Governante

Martina Breidenbach

Stab:

Bühnenbild

Manuela Eickelmann, Sabine Jonas, Natascha Milicevic, Gerhard Neupert, Martina Pauls, Monika Wegener, Dorothee Wozniak, Frank Riedel, Olav Sehlbach, Frank Riedel, Simone Orzalesi, Natascha Milicevic, Dorothee Wozniak

Beleuchtung

Frank Riedel, Olav Sehlbach

Ton

Frank Riedel, Simone Orzalesi

Plakat

Natascha Milicevic, Dorothee Wozniak

Kostüme und Maske

Annette Grosse, Anja Büsam, Manuela Eickelmann, Sabine Jonas

Requisite

Antonius Klees, Olav Sehlbach

Programmheft

Petra Bieler, Simone Orzalesi, Martina Pauls

Inspizient

Emanuel Bitton

Souffleusen

Chantal Guerrero, Simone Orzalesi, Kirsten Schuh

Regie

Beate Maaß, Carsten Dalchow



Versuch einer Darstellung der verwirrenden Situationen und Zusammenhänge des Stückes

Im Mittelpunkt der Handlung stehen zwei junge Herren: John Worthing und Algernon Moncrieff. Beide haben sich einen fiktiven Bekannten zugelegt, der ihnen bei gelegentlichen Extratouren als Alibi dient. John, genannt Jack, lebt auf dem Lande und spielt dort die Rolle des moralisch untadeligen Vormunds der Enkelin seines Adoptivvaters, Cecily Cardew.

Sein Leben auf dem Land befriedigt ihn nicht, und so pflegt er, um wenigstens zeitweise seinen Rollenpflichten nicht nachkommen zu müssen, Vergnügungsreisen nach London zu unternehmen, die er mit den besorgniserregenden Schwierigkeiten begründet, in die sein angeblicher, jüngerer Bruder ständig gerät.

Algernon Moncrieff hingegen stattet sich mit einem auf dem Land lebenden Freund namens Bunbury aus, um unangenehmen Verpflichtungen in London zu entgehen. Jack ist sehr bemüht um eine Cousine Algernons, Gwendolin Fairfax, die jedoch nur auf Männer mit dem Vornamen Ernst anspricht, so dass er mit dem Gedanken spielt, sich umtaufen zu lassen. Einen weiteren Widerstand, jenen der standesbewussten Lady Bracknell, der Mutter Gwendolens, hat Jack zu überwinden:
Sie missbilligt Jacks dubiose Herkunft - er wurde in einer Reisetasche in Viktoria Station gefunden - und erkennt sie nicht als "an assured basis for recognized Position in good society" an. Sein Heiratsantrag war demzufolge zum Scheitern verurteilt. Algernon kommt dem Doppelspiel seines Freundes auf die Spur und interessiert sich nun seinerseits für das hübsche Mündel Cecily.

Er begibt sich Kurzerhand unter dem Pseudonym Ernst, d.h. als der angebliche jüngere Bruder Jacks auf den Landsitz der Worthings und macht Cecily einen Heiratsantrag. Cecily hat ebenso wie Gwendolen eine Vorliebe für den Namen Ernst, und so wird Algernons Einfall zu einem vollen Erfolg. Die Verwicklungen erreichen einen Höhepunkt, als Jack unerwartet frühzeitig aus London in Trauerkleidung zurückkehrt und den Tod seines Bruders Ernst verkündet.

In der Zwischenzeit ist auch Gwendolen auf dem Landsitz eingetroffen und muss im Gespräch mit Cecily feststellen, dass beide anscheinend mit demselben Mann verlobt sind. Algernon und Jack müssen, von ihren Angebeteten zur Rede gestellt, ihre wahre Identität gestehen, was neuerliche Schwierigkeiten bewirkt: Die beiden Damen wollen sich nicht damit abfinden, dass ihre Verlobten nun doch nicht Ernst heißen. Vorsorglich lassen sich Jack und Algernon - unabhängig voneinander - Tauftermine vormerken. Dies erweist sich Schließlich als unnötig.

Die Herkunft Jacks wird enthüllt, als Lady Brackneil in Miss Prism, der gegenwärtigen Erzieherin Cecilys, ein ehemals in den Diensten Lord Bracknells stehendes Kindermädchen erkennt. Es stellt sich heraus, dass jene vor 28 Jahren in "a moment of mental abstraction" an Stelle eines Manuskripts für einen dreibändigen Roman versehentlich ein Baby in ihrer Reisetasche deponiert und in der Gepäckaufbewahrung von Victoria Station zurückgelassen hat ..

Jacks Identität klärt sich auf : Er ist der Sohn der Schwester Lady Brackneils, Mrs. Moncrieff, somit Algernons älterer Bruder und außerdem auf den Namen John getauft. Cecily akzeptiert den Namen Algernons, und auch zwischen dem ehrwürdigen Dr. Chasuble und der altjüngferlichen Mrs. Prism wurden mittlerweile zarte Bande geknüpft, sodass das Stück mit der Szene dreier sich umarmenden Paare endet.


Die Entstehungsgeschichte einer „Trivialen Komödie für ernsthafte Leute“

Jene ist äußerst kompliziert und nicht einmal restlos erforscht.

Mit einiger Sicherheit festzuhalten ist folgendes: Das Stück war mindestens 7 Bearbeitungsstufen ausgesetzt.

1  Der Entwurf entstand im Jahre 1894,in den Monaten August und September, als Oscar Wilde sich mit seiner Frau und seinen 2 Kindern in Worthing an der englischen Südküste aufhielt. Diese Urfassung setzte sich aus 4 Akten zusammen, die Wilde jeweils in ein eigens dafür vorgesehenes Notizbuch schrieb - Folglich waren es 4 Notizbücher, von denen er Gebrauch machte. Doch bereits hier gibt es merkwürdige Ungereimtheiten: Auf ungeklärte Weise verschwanden Notizbuch Nr. 2. und Nr.-33; die handschriftliche Urfassung wurde getrennt. Die vermissten Bücher tauchten erst nach dem Tode der Frau Arthur Cliftons, eines Freundes von Wilde, wieder auf...

2 Von seinem korrigierten ließ Wilde eine Schreibmaschinenfassung anfertigen.

3 Eine weitere Reinschrift, möglicherweise von einer neuen Umarbeitung gefolgt, wurde hergestellt.

4 Wilde entschloss sich zu Kürzungen: Der 2. und 3. Akt wurden zusammengelegt und verkleinert. Der 4. Akt wurde zum 3. Akt.

5 Das Drehbuch des Regisseurs Sir George Alexander stellte eine weitere Umarbeitung dar.

6 Am 4. Mai 1898 bat Wilde einen Verleger Smithers, eine Schreibmaschinenabschrift dieses Exemplars anfertigen zu lassen, die wiederum Revisionen aufweist.

7 Ausgehend von der letzten Bearbeitungsstufe und erweitert durch erneute Änderungen, wurde 1899 der Text der Erstausgabe herausgebracht.

Die 4-aktige Urfassung blieb zunächst, obwohl im Jahre 1903 das Stück in 4 Akten, übersetzt von  dem Freiherrn von Teschenberg in Leipzig unter dem Titel Ernst sein! erschien. Davon nahm die Wilde-Forschung allerdings keine Notiz. Erst 1956 edierte Sarah A.Dickson die Urfassung, und 2 Jahre später erfolgte die Ausgabe einer rekonstruierten Urfassung von Vivian Holland, dem Sohn Wildes. Die Kürzung der 3aktigen Fassung fiel unter anderem eine ganze Szene zum Opfer, in der eine neue Figur, der Rechtsanwalt Grisby auftritt, um Algernon Moncrieff in Schuldhaft zunehmen.

Außerdem verschwindet der Gärtner Moulton und verschiedene Namen wurden geändert. Man kann jedoch sagen, dass diese Kürzung einen strafferen Aufbau und eine Verdichtung des komischen Effekts bewirkte.


Rainer Kohlmayers Neuübersetzung von „Bunbury“ als Grundlage unserer Aufführung

Unserer Aufführung liegt eine Neuübersetzung von Oscar Wilde's "Bunbury" zugrunde, die im Gegensatz zu anderen "Bunbury"-Fassungen (beispielsweise Carl Hagemann, Peter Zadek) das Original ungekürzt wiedergibt. Während andere deutsche Übersetzer/Bearbeiter vor allem bei Wortspielen und schwierigen Textstellen kürzten, eigene Einschübe, beispielsweise auf die bundesrepublikanische Gegenwart, hineinbrachten oder den Text sowohl auf dramatischer wie auch sprachlicher Ebene kreativer gestalteten, lehnt Kohlmayer sich an die elegante, witzige und klare Sprache des Wildeschen Originals an.

Seiner Ansicht nach ist ein Theaterstück schließlich für die Bühne geschrieben und sollte somit gut sprechbar sein. Da die deutsche Satzmelodie jedoch monotoner ist als die englische, muss dieser Nuancenverlust durch deutsche Modalpartikel, wie z.B. ja, doch, nun usw. ausgeglichen werden, um die Sätze lebendig und sprechbar zu gestalten.

Das im Englischen häufig gebrauchte, einleitende "well" muss entsprechend der Situation variiert werden durch "na, tja, gut, aber, ha usw.". Auch versucht Kohlmayer den Personen charakteristische Sprechweisen zuzuordnen, damit der Leser bzw. der Zuschauer wichtige sprachliche, komische und gesellschaftskritische Nuancen wahrnehmen kann. So spricht Lady Bracknell barock-bombastisch, ihre Tochter Gwendolen frühreif-intellektuell, und Jack kann aufgrund der Sprache als Jurist identifiziert werden, denn schließlich stellt er als Hauptfigur des Stückes den Friedensrichter (Justice of the Peace) dar.

Somit hofft Kohlmayer durch seine deutsche "Bunbury-Kostümierung" noch den menschenfreundlichen - und daher oft so aggressiven - Witz seines Erzeugers, Oscar Wilde, erkennen zu lassen.

Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8498, Stuttgart 1981


Ballade

Wohl ist es süß im Lebensmai

Der uns lockt aus Wald und Kluft

Bei Lautenschall und Flötenhall

zu tanzen durch Glanz und Duft.

Doch süß ist es nicht auf dem Hochgericht

zu tanzen in der Luft.

Oscar Wilde in Dublin geboren



OSCAR WILDE

1854

16.Oktober

Oscar Wilde in Dublin geboren

1864

- 74

Schulzeit

1874

Geht als Stipendist ans Magdalen College, Oxford

1876

19.April

Tod von Sir William Wilde

1878

28.November

Erwirbt den Grad Bachelor of arts

1881

(30.Juni)

POEMS erscheinen

1884

29.Mai

Heiratet Constanca Lloyd in London

1885

5.Juni

Cyril Wilde geboren

1886

3.November

Vyvyan Wilde geboren

1887

Übernimmt die Redaktion der Zeitschrift WOMANS WORLD

1888

Mai

THE HAPPY PRINCE AND OTHER TALES erscheint

1889

Juli

THE PORTRAIT OF MR. W.H! erscheint in BLACKWOOD'S MAGAZINE. Legt die Redaktion von WOMANS WORLD nieder.

1890

20.Juni

THE PICTURE OF DORIAN GRAY erscheint

1891

Februar

THE SOUL OF MAN UNDER SOCIALISM erscheint.

1891

Januar

THE DUCHESS OF PADÜA in New York unter dem Titel GUIDO FERRANTI aufgeführt.

1891

2.Mai

INTENTIONS erscheint

1891

Juli

LORD AUTHÜRS SAVILE'S CRIME AND OTHER STORIES erscheint

1891

November

A HOÜSE OF POMEGRANATES erscheint

1891

Nov.-Dez.

Schreibt in Paris SALOME

1892

Juni

SALOME vom Lordkämmerer verboten.

1892

Aug.-Sept.

Schreibt in Norfolk A WOMAN OF NO IMPORTANCE

1893

22.Februar

SALOME erscheint auf französisch als Buch.

1893

Oktober

Schreibt in London AN IKEAL HUSBAND

1894

11.Juni

THE SPHINX erscheint

1894

Aug.-Sept.

Schreibt in Worthing THE IMPORTANCE OF BEING EARNEST

1895

6.-26.April

Wilde im Untersuchungsgefängnis Holloway

1895

7.Mai

Freilassung gegen Bürgschaft

1895

25.Mai

Verurteilt zu 2 Jahren Freiheitsentzug

1896

3.Februar

Tod von Sir William Wilde

1897

Jan.-März

Schreibt DE PROFUNDIS

1897

19.Mai

Entlassung aus dem Gefängnis

1898

13.Februar

THE BALLAD OF READING GOAL erscheint.

1898

7.April

Tod von Constance Wilde

1900

10.Oktober

Operation

1900

30.November

Stirbt im Hotel d'Alsace in Paris



Die Gartenstädte von Hertfordshire

Seit dem Altertum waren die gut ausgebauten Straßen, die von der Küste her durch London führten, von großer Bedeutung, da Händler auf ihrem Weg Richtung Norden Hertfordshire passierten. Schon die Römer erbauten wichtige Durchgangsstraßen, von denen Teile heutige Autobahnen darstellen. Diese zerstückelten das Land zunehmend. Alte Dörfer zwischen den Hauptstraßen Richtung Norden blieben jedoch verschont, und aufgrund ihres geringen Verkehrsaufkommens bieten sie schöne und angenehme Umwege Westen nach Osten. Eine außergewöhnlich hohe Anzahl an Elisabethanischen und Jakobinischen Häusern wurde in dieser Gegend erbaut, die von dem Vorteil profitierte, nahe Londons zu liegen und zudem gute Jagdmöglichkeiten in den Wäldern bot, die trotz der Zerstückelung des Landes bis in die heutige Zeit überlebt haben.

Viele kleine Flüsse münden in den River Lea, einen Hauptnebenfluss der Themse. Die östlichen Höcker der Chilternen bilden die höchsten Punkte der Gegend. Gut ausgeschilderte Fußwege durchkreuzen das Land, und eine Unmenge von Pfaden führt durch eine Landschaft, die den Zauber einer typisch englisch ländlichen Szene ausstrahlt.

Die industrielle Revolution zog Hertfordshire nicht groß in Mitleidenschaft, da das Land weder Eisen noch Kohle besaß, doch der gute Handel wurde beeinträchtigt. 1903 wurde Britanniens erste Gartenstadt, Letchworth geplant, die zweite wurde Welwyn Gartenstadt (1920). In den 40ern und 50ern kamen die neuen Städte hinzu, die um einen bestehenden Kern erbaut wurden.

Atlas: Great Britain

Westmill - eines der attraktivsten Dörfer in Hertfordshire: Kirche 12.Jh., Tudor Landhäuser

Westmill - eines der attraktivsten Dörfer in Hertfordshire: Kirche 12.Jh., Tudor Landhäuser

Westmill heute


Wilde über Wilde

"De profundis" sagt er über sich selbst: Die Götter haben mir fast alles verliehen. Ich besaß Genie, einen erlauchten Namen, eine hohe soziale Stellung, Ruhm, Glanz, intellektuellen Wagemut; ich habe die Kunst zu einer Philosophie, die Philosophie zu einer Kunst gemacht; ich habe die Menschen anders denken gelehrt und den Dingen andere Farbe gegeben; alles, was ich sagte oder tat, setzte die Leute in Erstaunen.

Ich nahm das Drama, die objektivste Form, die die Kunst kennt, und machte es zu einem persönlichen Ausdrucksmittel wie das lyrische Gedicht; zugleich erweiterte ich seinen Bezirk und bereicherte es in seiner Charakteristik. Drama, Roman, Gedicht in Prosa, Versgedichte, den geistreichen oder phantastischen Dialog - alles, was ich berührte, hüllte ich in ein neues Gewand der Schönheit.....

Ich zeigte, dass das Falsche und das Wahre lediglich intellektuelle Daseinsformen sind. Die Kunst behandelte ich als oberste Wirklichkeit, das Leben nur als einen Zweig der Dichtung. Ich erweckte die Phantasie meines Jahrhunderts, sodass es rings um mich Mythen und Legenden schuf. Alle philosophischen Systeme fasste ich in einen Satz, das ganze Kasein in ein Epigramm.... Was mir das Paradoxe in der Sphäre des Denkens war, wurde mir das Perverse im Bereich der Leidenschaft. Die Begierde war schließlich eine Krankheit oder ein Wahnsinn oder beides.... Ich verlor die Herrschaft über mich. Ich war nicht mehr der Steuermann meiner Seele und wusste es nicht. Ich ließ mich vom Vergnügen knechten. Ich endete in greulicher Schande. Jetzt bleibt mir nur eins: völlige Demut."

(Übersetzung von Max Meyerfeld)

Wilde angeklagt wegen Homosexualität:

Der Verteidiger der Anklage berief sich auf Dorian Gray":

Sie sprechen da von einem Mann, der einen anderen anbetet.

Haben Sie jemals irgendeinen Mann angebetet?"

"Nein, ich habe außer meiner Person nie jemand angebetet."

Bei der Landung in Amerika erwiderte Wilde auf die Frage, ob er Zollpflichtiges mit sich führe: "Nichts, nur mein Genie."


Der Weg zum Knast, oder

Wie aus einem erfolgreichen und bekannten Autor über Nacht "the figure and letter of a little cell in a long gallery, one of a thousand lifeless numbers" wurde ...

Durch erfolgreiche Gesellschaftsdramen (wie "Lady Windermeres Fä­cher", "Eine Frau ohne Bedeutung", "Bunbury"), Prosawerke (u.a. "Das Gespenst von Canterville", "Das Bildnis des Dorian Gray") sowie Gedichte kam Oscar Wilde zu literarischem Ruhm. Doch ein wohl überhöhtes Selbstbewusstsein verführte ihn 1895 dazu, sich auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Marquess von Queensberry einzulassen, dem Vater seines um fünfzehn Jahre jüngeren intimen Freundes Lord Alfres Douglas. Der Marquess forderte das En­de der Beziehung zwischen den beiden Männern, der Sohn antwortete mit einem höhnenden Telegramm. Daraufhin umschlich der Vater Bosies zusammen mit zwei muskulösen Getreuen am 1if. Februar 1895 bei der Uraufführung von "Bunbury" das St. James Theater mit einem Strauß Karotten und Rüben in der Hand, den er Wilde am Ende des Stückes überreichen oder an den Kopf werfen wollte. George Alexander hatte jedoch von den unfeinen Absichten des schottischen Aristokraten erfahren und ihm mit Erfolg den Zugang zum Theater verwehrt. Doch Queensberry ließ sich nicht entmutigen, sondern überlegte sich eine neue Provokation. Vier Tage nach der Premiere von "Bunbury" beleidigte er öffentlich Wilde, dem er alle Verantwortung, das hieß für ihn: Schuld, zuschob. Nun nahm das Schick­sal seinen Lauf. Der Dichter reichte eine Verleumdungsklage gegen den Marquess ein, suchte Schutz bei der Justiz, einer Gesellschaft, deren Schwächen und Fehler er so oft kritisiert hatte. Der Prozess wandte sich aber gegen ihn selbst. Der Anwalt des Marquess wies ihm homosexuelle Beziehungen nach, und in einem zweiten Verfahren wurde er deswegen zu zwei Jahren Zuchthaus mit Zwangsarbeit ver­urteilt. Gute Möglichkeiten zur Flucht aufs Festland ließ er un­genutzt. Einem aufwendigen, genusssüchtigen Leben folgte die tiefe Erniedrigung in Reading, man transportiere ihn in Ketten, Passan­ten bespukten ihn; die Zuchthauskost verursachte ihm Ekel, dann erhebliche gesundheitliche Störungen, die man als Simulation be­zeichnete und mit Dunkelhaft bestrafte, seine Zwangsarbeit: Wolle zupfen.

Diese beiden Jahre bedeuteten den Verlust seiner bürgerlichen Existenz und begründeten zugleich das Ende seines Künstlertums. Man strich seinen Namen von den Theaterzetteln, zog seine Bücher aus dem Handel, und seine Person wurde entweder zur Zielscheibe scheinheiligen Moralisierens oder als Gesprächsgegenstand völlig tabuisiert. Seine Familie war außer Landes gegangen, sein gesamter Besitz in Tite Street Nr. 16 war versteigert, z.T. sogar geplündert worden. Sozialer Deklassierung folgte überdies noch die Verkümme­rung seiner Beziehungen zu seinem Freund Alfred Douglas.

Seine beiden Zuchthausjahre fanden in bedeutenden Spätwerken Nie­derschrift, der Prosaschrift in Form eines langen Briefes an Lord Douglas "De profundes" und der "Ballade vom Zuchthaus zu Reading". Seine Entlassung überlebte er, seelisch allzu verwundet und gesell­schaftlich und finanziell ruiniert, nur um drei Jahre.

Die Gesellschaft, die Oscar Wilde in sämtlichen Werken darstellt, besteht vorwiegend aus Mitgliedern der Aristokratie und des ge­hobenen Bürgertums in London. Sie erscheint als relativ geschlos­sene Gemeinschaft, die sich durch Status, Besitz und schichtenspe­zifische Sprach- und Verhaltensgewohnheiten abgrenzt. Diese kollek­tiven Merkmale sichern ihre Homogenität nach innen und wirken nach außen als Barrieren gegen unerwünschte Eindringlinge. Die Zugehörig­keit zu diesem Kreis, die entweder durch Geburt vorgegeben ist oder durch Aufstieg erworben werden kann, verlangt von den Etablierten die Beachtung bestimmter Konventionen des öffentlichen Umgangs, während von den Emporkömmlingen die Anpassung an die geltenden Nor­men erwartet wird. Die häufigste Form der dauerhaften Eingliederung, die sich dem Außenstehenden bietet, ist die Heirat, die geläufigste Form der Kontaktaufnahme ist die Einladung in angesehene Häuser. Die Verletzung von Konventionen führt zu Sanktionen, die in den Stücken meist dadurch angedeutet werden, dass die betroffenen Figu­ren die Londoner Szene verlassen (beispielweise in "Lady Windermere's Fan"). Exil oder ein Leben auf dem Lande, weit weg von der Hauptstadt: das sind die Möglichkeiten, die sich jenen bieten, die sich eines Verstoßes gegen den geltenden Verhaltenskodex schuldig gemacht haben.

Thematik und Konflikte in den Stücken Wildes entstehen nun aus dem Bestreben der Etablierten, ihre Stellung zu behaupten bzw. der Außenseiter, in ihren Kreis einzudringen, und dem Verlangen des Indi­viduums nach Selbstverwirklichung jenseits von Anpassungszwängen. Integrationsversuche und Desintegration der Figuren sind Merkmale der vertikalen Mobilität der dargestellten Gesellschaft, während sich ihre Identität aus dem Konflikt zwischen privatem Handeln und der. Anpassung an öffentliche Rollenmuster bestimmt.

...und damit werden wir konfrontiert...

"The Importance of Being Earnest" ist WildeS' Meisterstück, in dem sein Witz, sein Einfallsreichtum, sein Sinn für soziale Realität, seine tiefsinnige und radikale Liebe von Gerechtigkeit und die fundamentale Güte seiner Charaktere perfekt vermischt worden sind. Er ist fähig, vertrauensvoll zu lachen über die Schönheit und Groteske des Lebens, die er als dieselbe Sache ansieht. Gerade Miss Prism ist eine weibliche Person von abstoßendem Aspekt, unbeweglich ver­bunden mit Erziehung und zur selben Zeit die meist kulti­vierte der Damen und das Bild von Respektsachtung. Wilde berührt unter anderem Themen wie Geld, Reichtum, Heirat, soziale Klassen, Menschenliebe, Erziehung und Aristokratie, alle mit leichtem aber spitzen Humorlichten, und er lässt wenig Zweifel bezüglich seiner eigenen Sympathien. Tatsächlich macht er sich lustig über alle englischen An­gelegenheiten, heilige Dinge wie Taufe, Geburt, Religion, Nahrung und Besitztum. Dies geschieht alles in einer so unsinnigen, leichtfertigen und fantastischen Weise, dass die Komödie niemals aufhört einen zu amüsieren.


Wilde über Bunbury

Am 14. Februar wurde "The importance of being Ernst" aufgeführt.

Über das Stück sagt er:

„The first act is ingenious, the second beautiful and the third abominable clever."

Anschauung Wildes über Künstler und Kritiker:

Wilde postuliert nicht, dass nur derjenige Kritiker werden soll, der auch Schöpfer ist, sondern der Kritiker wird wegen seines schärferen Geistes und größeren Genies über den schöpferischen Künstler gestellt, ja er ist überhaupt erst der wahre Künstler. Hier trifft sich Wildes Anschauung mit der von Nietzsche, was Nietzsche "Schaffen" nennt, ist nicht einzig und allein durch die Person, nicht ein Werkschaffen, sondern ein Umdeuten, ein Umgestalten durch sich und aus sich. Umschaffen nennt Nietzsche es selbst: die Person, die es umschafft, gibt dem Leben eine höhere, ihre eigene Deutung.

Eben dieser Gedanke des Umschaffens zeichnet auch den wildeschen Kritiker aus und stellt ihn auf eine höhere Stufe als den Künstler. Wilde übernimmt die Auffassung Arnolds von der Zweckfreiheit der Kunst, und wie Arnold glaubt auch er, dass es der Kritiker sei, der das Antlitz eines Jahrhunderts bestimme. Denn allein der kritische Geist garantiert den Fortschritt, er allein bringt die Veränderungen und sei Zeit Stents voraus. Deshalb muss bei Wilde der Künstler zugleich auch Kritiker sein. Der nur philosophische Künstler reproduziert, der kritische Künstler dagegen verwirft, wählt aus und findet dadurch neue Formen und Wege.


Der Dandy; Gentleman und decadent

In Wildes Stücken treten öfters die gleichen Typen auf, die Dandies. So auch in nBunburry" Algernon und Jack sind Dandies par excellence, mit ihrem eigenen Lebensstil und ihrer eigenen Lebensphilosophie. Sie sind die enfants terrible der viktorianischen, vom Puritanismus geprägten Bürgerschicht und die Lieblinge der Salons.

Sie sind eine Zeiterscheinung und zugleich ein Kunsttypus, der den historischen Dandies des fin de siecle Ideal und Vorbild war, aber in dieser Perfektion nur in der Kunst ein glückliches Dasein führen konnte. Der Dandy musste sich nicht seine Lebensexistenz mit seiner Hände Arbeit sichern, sondern konnte in seiner reichlich bemessenen Mußezeit seinen Interassen nachgehen.

Seine Philosophie nimmt der Dandy nicht etwa aus einer humanistischen, klassizistischen oder hellenistischen Tradition, sondern sie ist ein Protest gegen die Gesellschaft sowie gegen wissenschaftliche und philosophische Zeitströmungen. In einer Welt, in der Darwin das Überleben des Stärkeren und besser angepassten propagiert, zeigt der Dandy Freude am Nutzlosen; wo ein krasser Materialismus und Positivismus Leben und Philosophie bestimmen, postuliert Wilde die Schönheit und Heiterkeit der Kunst.

Zu einer Zeit, da man Gesetzmäßigkeiten auch des sozialen Lebens entdeckte und selbst psychologische Reaktionen nicht mehr der Willensfreiheit des einzelnen zuschreibt, nimmt sich die Kunst des Individuums an und schafft den von gesellschaftlichen Zwängen freien Menschen, der keinen Gesetzen unterworfen ist und nach der Willkür seiner Laune handelt.

Der Schönheitskult der Dandies entsteht in einer Zeit, da in England weitgehend der Geschmack verderbt. Dem sucht der Dandy entgegenzuarbeiten. Ganz gezielt und bewusst umgibt er sich mit schönen Gegenständen und die Sorgfalt, die er auf seine äußerliche Erscheinung verwendet, ist ein Teil des neuen Schönheitskultes. Der Dandy ist der letzte Ausbruch von Heroismus in der Niedergangsepoche. Wilde, der Schöngeist, der "ewig Spielende", der galante Tändler hat in seinen Komödien Dandies auf die Bühne gebracht, die ihm nicht unähnlich waren. Die durchaus sympathischen Figuren konnten mit ihrem savoir-vivre als Gentleman gelten.

Sein Dandiismus wie sein Kosmopolitanismus haben Wilde zum Kritiker des Imperialismus und Nationalismus gemacht. Die Bedingungslosigkeit des Dandies zeigt hier ihre positiven Früchte. Er kämpft als Dandy gegen das Machtstreben und Besitzergreifen des Philistertums.


Kritiken zu " Importance of Being Earnest "

Die "Theatrical World" von 1885,20. Februar:

„..."The Importance if Being Earnest " imitiert nichts, stellt nichts dar, meint nichts, außer einer Art rondo capriccioso, in dem die Finger des Künstlers mit lebhafter Verantwortungslosigkeit die Klaviatur des Lebens auf- und ablaufen.

21. Februar 1895 in "Truth":

„ "The Importance of Being Earnest " amüsierte mich sehr. Der Autor sagte uns, dass er selbst das Stück als ein "delikates Brodeln von Fantasie" betrachte; aber es ist bei weitem zu viel darin über Babies, die in Handtaschen an Londoner Bahnhöfen zurückgelassen werden, als ich erlauben kann, dass es so wäre.

Es ist weder "delikat" noch "brodelnd", aber ich wiederhole, es ist zweifellos amüsant, und das ist eine Qualität, der in einer Welt, in der man sich langweilt, sicherlich mit warmer Zustimmung begegnet wird.

Der zeitgenössische Kritiker W.H. Anden:

„...in "The Importance of Being Earnest" gelang es Oscar Wilde - es scheint fast zufällig, da er nie die inhaltliche Überlegenheit des Stückes bemerkte - etwas zu schreiben, was vielleicht das einzige nur verbale englische Werk ist. Wilde fand absichtlich oder zufällig einen Weg, jedes dramatische Element vorteilhaft im Dialog unterzubringen. Er schuf ein verbales Universum, in dem die Charaktere durch die Dinge, die sie sagen, bestimmt werden. Die Handlung ist nichts als eine Abfolge von Gelegenheiten, diese Dinge zu sagen.

H.G. Wells:

"very good nonsense"

George Bernard Shaw:

"really heartless" - "essentially hateful"

Zur Uraufführung

Der Schauspieler Allan Aynesworth, der Algernon Moncrieff darstellt, einige Jahre später:

„In meinen 53 Schauspieljahren kann ich mich an keinen größeren Triumph, als die erste Aufführnacht von "The Importance of Being Earnest" erinnern. Das Publikum sprang von den Sitzen und jubelte, jubelte immer wieder von neuem.

Wildes eigene Kritik:

„...the first act is ingenious, the second beautiful, the third abominably clever."


Oscar Wilde The Harlots House

Wir fingen Schritte auf zum Tanz

Wir schritten hin im Morgenglanz

Und blieben stehen am Hurenhaus.

Von drinnen durch den Wust und Schwall

drang zu uns her ein schriller Schall

das „treue liebe Herz“ von Strauß.

Und durch die lange Straße nun

Kroch grau der Tag auf Silberschuhen

Wie ein verschüchtert Mädchen her.

Ein anderer Übersetzer gibt es so wieder:

Und an den stillen Häuserreihen

Kroch silberfahl der Dämmerschein

wie ein verlorenes Kind



Wildes Anschauung über die Kunst und Natur

Wilde hat die Natur weder als Lehrmeisterin der Menschen, noch als Größe für sich betrachtet. In seinem Essay "The Decay of Lying" findet sich der Lehrsatz: "it is....true that life imitates art for more than art imitates life." Dies bedeutet zunächst die Abkehr des Künstlers von der Natur als einem universalen, stets gleichbleibenden Faktor und Vorbild. Der Gedanke an die Universalität wurde im 19. Jahrhundert durch die Entdeckung des Individuums, der Evolution und der Relativität ver­drängt. Die Priorität der Kunst über die Natur bedeutet die Priorität des Individuellen über das Universale, des "aesthetic temperament" über das allgemeine (gottgegebene) Gesetz. Nach Wilde wendet sich die Kunst an das "aesthetic temperament", nicht an den "moral sense". Die Ethik wird durch die Ästhetik eingeholt und aufgehoben.

Wilde spricht von der Natur, bisher immer das Vorbild des schöpferischen Künstlers, im Ton der Ironie. Die Natur an sich ist minderwertig und ästhetisch unbefriedigend, solange sie nicht durch die Imagination (Kunst) veredelt wird.


Anschauung Wildes über Individualismus und Sozialismus

Beides geht bei Wilde eine Synthese ein. Nach seiner Vorstellung müssen die Gesellschaft und der Staat dem Individuum dienen, d.h. am besten gar nicht in Erscheinung treten und schon gar keine Gesetze und Vorschriften erlassen. Diese Blickrichtung hat mit dem Wandel der Gesellschaft im 19.Jahrhundert zu tun, insbesondere mit der Ent­wicklung einer nivellierenden Demokratie.

Wenn Wilde in einem Essay über Sozialismus schreibt, dann nicht primär als Soziologe, sondern als Kritiker und Künstler, der sich gegen den übermächtigen Zugriff der Gesellschaft wehrt und sich und anderen mehr Freiraum schaffen will und somit für die Würde des Menschen eintritt. Bei Wilde findet das Individuum gerade durch seine Unabhängigkeit von der Gesellschaft seine ureigenste Erfüllung. Die Kunst wirkt gesellschaftsverändernd, als Gegengift gegen Philistertum und die Tyrannei der Gewohnheit, gegen Automatisierung und Mechanisierung.

Hiermit steht Wilde in der Tradition der Präraffaeliten, die in der Kunst das Mittel zur Persönlichkeitsentfaltung gefunden zu haben glaubten. Kunst und Individuum sind eins; der Individualismus ist ein desintegrierender wie auch humanisierender Faktor der Gesellschaft. Wilde ist der Ansicht, dass psychisch-individuelle Probleme von den gesellschaftlichen Missständen nicht zu trennen sind. Die Befreiung und Veränderung des Individuums setzt gleiches bei der Gesellschaft und umgekehrt voraus.

Indem Wilde vom Sozialismus ausgeht und ihn mit Individualismus gleichsetzt, hat er hier für seine künstlerischen Überlegungen zum ersten Mal einen großen gesellschaftspolitischen Rahmen geschaffen.


Form:

Seine Nuance bestand darin, dass er den Willen zur Form, der die Erscheinung durchdringt, als den Willen zum Schönen empfand.

Das Spiel mit der Form: Das Wildesche Paradox

Aus der Zusammenschau von zwei ganz unterschiedlichen Werken, nämlich von "The Portrait of W.H." und "The Importance of being Earnest" (Bunbury), lassen sich ein paar Paradoxa bei Wilde herleiten. In der Komödie will Jack die ganze Zeit glaubhaft machen, Earnest zu sein, und wirkt dadurch absolut lächerlich. Am Höhepunkt der Manipulation stellt sich heraus, dass er in der Tat auf den Namen Earnest getauft ist. Subjektiv, von den Charakteren aus gesehen, hat der Titel seine Berechtigung. Objektiv, aus der Leserperspektive, ist der Name nur ein Akzidenz und völlig belanglos für den Charakter. Die Paradoxie des Inhaltes wird schon im Komödientitel ausgedeutet. Bei vielen Paradoxa lässt sich folgender Dreierschritt feststellen:

1. Das Aufstellen einer ungewöhnlichen und unkonventionellen Hypothese (Jack = Earnest)

2. Manipulation der Realität (Taufe Jacks)

3. Krisis oder Umschlag: die Manipulation wird aufgedeckt, doch zugleich verändert sich die Realität; sie kommt der Manipulation entgegen
(Tauf Schwindel und Nachweis, dass Jack tatsächlich Earnest ist)

Meist folgt dann noch ein Epilog: die Enttäuschung, die Erkenntnis, dass alles nur ein Spiel mit dem Schein war. (Jack sagt:" it is a terrible thing for a man to find suddenly out that all his life he has been speaking nothing but the truth.") Über diesen Kategorisierungsversuchen darf man nicht vergessen, dass das Paradoxon nicht nur eine rhetorische Stilfigur, sondern auch eine Zeiterscheinung ist und eine Geisteshaltung zum Ausdruck bringt. Das Paradoxon hat es zwar zu allen Zeiten gegeben, doch lassen sich Höhepunkte vor allem in Übergangs- und Verfallszeiten feststellen. Bei Wilde ist es die Funktion der Paradoxie, jedem freizustellen, was er glauben will. Es ist ganz gleichgültig, was man glauben will, solange der Geist nur in Bewegung bleibt.


THE IMPORTANCE OF BEING EARNEST

(A trivial comedy for serious people)

Wildes Faszination für Wortspiele zeichnet sich bereits im Titel bzw. Untertitel ab. "Earnest bezeichnet zugleich die Eigenschaft "ernst, gewissenhaft" und den Vornamen "Ernst". Die Ironie des Titels besteht darin, dass in der Handlung des Stückes nicht die Eigenschaft, sondern der Name "Ernst" wichtig genommen wird. Cecily und Gwendolen legen so viel Wert auf den Namen "Ernst", dass sie die Wahl des Ehekandidaten davon abhängig machen.

Die verbale Ironie wird ins Spiel umgesetzt: Das Ernste „wird trivialisiert, der Name Ernst" wichtig genommen. Außerdem beschreibt Wilde durch das Eigenschaftswort "ernst" die Haltung der Viktorianischen Gesellschaft. Gewissenhafte Pflichterfüllung und Verachtung des Müßiggangs waren Merkmale des Viktorianismus und werden oft unter dem Begriff "Zeitgeist" zusammengefasst. Puritanische Tradition prägte diese Lebenseinstellung, die zum Grundsatz hatte, sich sowohl den moralischen als auch den aus der Industralisierung und Technisierung sich ergebenden Problemen und Anforderungen zu stellen.

Diesem Viktorianischen Ernst stellt Wilde eine Philosophie der Äußerlichkeit, der Oberflächlichkeit ohne jegliche moralische Verpflichtung entgegen, die im Untertitel "serious" genannt wird.

Oscar Wildes Wortspiele ziehen sich wie ein roter Faden durch das ganze Stück. Ironie und Komik folgen aus der ständigen Durchbrechung des Erwartungshorizontes durch die Umkehrung aller Werte.

SAG MIR DEINEN NAMEN UND ICH VERRATE DIR WER DU BIST...

Namen faszinierten Wilde schon immer. Die Personenbezeichnungen dieses Stückes sind teilweise "redende Namen": Mrs. Prism - Kritiker sind der Auffassung, dass Wilde den Namen "Prism" in Anlehnung an den Charakter und die Haltung der Erzieherin Cecilyc gewählt hat. "prism" bedeutet in der wörtlichen Übersetzung "Prisma". Aber ist Mrs. Prisma Kopf nicht ein einziges Prisma? Ein Prisma, welches anstelle von Lichtstrahlen das Gedächtnis eines Menschen zerstreut? Denn wer deponiert schon "versehentlich ein Baby in seiner Handtasche und lässt es in der Gepäckaufbewahrung von Victoria Station zurück? Im übertragenen Sinne bedeutet der Name in diesem Falle also auf einen zerstreuten Charakter hin. "prim", eine dem Namen ähnliche englische Vokabel, scheint zudem noch Näheres über die Haltung dieser Person auszudrücken, bedeutet sie doch nichts anderes als "steif", "spröde", und "zimperlich".

Dr. Chasuble - In Wörterbüchern wird "Chasuble" mit dem deutschen Namen "Messgewand" übersetzt. Welche andere Namensgebung jedoch könnte besser auf die Identität eines Pfarrers hinweisen? Den letzten "redenden" Namen besitzt der Butler Merriman. S
eine Personenbezeichnung stellt etwas Belustigendes, Ergötzliches dar. Aber wird der arme Butler nicht nach "Lust und Laune herumkommandiert"? (beispielsweise in 2. Akt) Merriman: "Der Wagen wartet, Sir."

Algernon: "Er soll nächste Woche wiederkommen, zur gleichen Zeit." Merrimen: "Jawohl, Sir."

Durch seine steifen, pflichtbewussten Reaktionen wird er einfach zum Gespött gemacht, wodurch seine Butlerrolle noch erniedrigt wird. .

Andere Personenbezeichnungen der Komödie sind Ortsnamen wie Worthing oder Bracknell (nach dem Landsitz der Marchioners of Oueensberry). Den Namen Lane für den Diener Algernons wählte Wilde möglicherweise in Anlehnung an den Verleger John Lane, den er, wie ein zeitgenössischer Kritiker behauptet, nicht, mochte.


Literaturnachweise

1) Karl Hagemann: Oscar Wilde, sein Leben und sein Werk, Stuttgart 1925

2) Otto Flakes   Versuch über Oscar Wilde, München 1946

3) Roditi Edouard: Oscar Wilde, Dichter und Dandy, München 1947

4) Peter Funke: Oscar Wilde in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rowolt Verlag, Hannover 1969

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