Theater 1984 am LMG


Das Programmheft der Theater AG des Lise-Meitner-Gymnasiums zu

Figaros Hochzeit

INHALT

Biographische Notizen zu Beaumarchais

Kommentar von C. de Beaumarchais

Inhaltsangabe

Weltkomödie mit überzeitlicher Wirkung?

Besetzungsliste

Der „Held" des Figaro

Geist und Sitten des Rokoko

Zeitzeugen

Schultheater

Zur Aufführungsgeschichte des "Figaro“

Nachwort

IMPRESSUM

Texte und deren Zusammenstellung: Stephanie Kratz

Layout   /   V. i.S.d.P. : Ralf Bäselt und Robert Issel


Biographische Notizen zu Caron de Beaumarchais

Der im Jahre 1732 in Paris geborene Pierre Augustin Caron de Beaumarchais war der Sohn eines nicht sehr wohlhabenden Uhrmachers. Er widmete sich zunächst dem Handwerk des Vaters, suchte Zugang zum Hofe Ludwig XIV, und wurde Musiklehrer der Prinzessinnen von Frankreich, sowie Hofsekretär. Diplomatische Geschäfte führten ihn 1761 nach Spanien. Nach einigen Jahren wieder in Paris, verlor er die Gunst des Hofes. So stürzte er sich in vieler­lei Geschäfte, u.a. in die Dramatik, der er bisher ferngestanden war. Immerhin war er bereits 38 Jahre alt, als sein erstes Stück fertiggestellt war. Der "Barbier von Sevilla" - die erste Komödie der "Figaro-Trilogie" - brachte ihm 1775 den ersten lang anhaltenden Triumph ein. Bis zum Vorabend der Revolution reichte diese Periode des Erfolges, eine fast unglaubliche Glückssträhne für den Spieler, der er in all den Jahren blieb.

Doch trotz der vorrevolutionären Tendenzen in seinen Schriften war er - nach der 1791 nun wirklich stattgefundenen Revolution - den Jakobinern als ehemaliger Freund der Aristokraten verdächtig und musste emigrieren. Erst 1796 wurde ihm nach unstetem Wanderleben in England, Deutschland und der Schweiz die Rückkehr nach Frankreich gestattet. Der 67-Jährige starb durch einen Schlaganfall.

Er war zeitlebens ein Spieler, ein Abenteurer in einer Epoche, die den Abenteurer in jeder Ver­kleidung bewunderte. Man wird das Auf und Ab seines Lebens, den unerschütterlichen Optimismus nur begreifen, wenn man darin die Selbstregie des Komödienschreibers sieht, der die Komplotte und Gegenkomplotte seiner Phantasie unwiderstehlich der Realität aufzwingt.

Die Bühne wird nicht nur, aber auch zum Kommentar des aufhaltsamen Aufstiegs des Kleinbürgers Beaumarchais zu einem der Mächtigsten im Frankreich Ludwigs XIV. Er fand sich in seine Verhältnisse, nicht weil er als Bürger im Vollgefühl seines Standesempfindens den schritt­weisen Aufstieg als den gemäßen Fortschritt der Zeit empfand, sondern weil er auf seine Chance wartete. Und diese Chance meinte den Sprung aus der Beschränktheit in die große Welt, das Überfliegen der bürgerlichen Sphäre und die Freiheit durch den Erwerb von Macht unter den Mächtigen. Beaumarchais war ein Weltbürger und ein Revolutionär, vielleicht war er sogar ein Revolutionär aus bürgerlicher Gesinnung; Jedenfalls zeigt jede Pointe in seinen Stücken, dass er sich über seine Herkunft und über die Verkommenheit und Brüchigkeit des feudalen Gesellschaftssystems keine Illusionen machte.


Kommentar von C. de Beaumarchais

Aus dem Vorwort von Beaumarchais zu "Figaros Hochzeit":

In dem Werk, das ich verteidige, werden nicht die Stände angegriffen, sondern die Missbräuche, die diese Stände treiben. Ich will korrigieren, ohne zu verletzen. Laster, Missbrauch und Willkür ändern sich nicht, sondern verstecken sich unter tausend Formen hinter der Maske der herrschenden Sitten: diese Maske herunterzureißen ist die edle Aufgabe dessen, der sich dem Theater verschreibt. Ob er nun lachend oder weinend moralisiert ... Man kann die Menschen nur verändern, indem man ihnen zeigt, wie sie sind. Die wirksame, wahrhaftige Komödie Ist keine verlogene Lobeshymne, kein hoher akademischer Diskus.


Inhaltsangabe

Der junge Cherubin klagt der Freundin Susanne sein Leid: er ist in alle weiblichen Wesen im Schloss verliebt, vor allem in die Gräfin. Als der Graf naht, versteckt er sich schnell hinter einen Sessel und wird nun Zeuge der gräflichen Liebeswerbungen um Susanne. Später verspricht der Graf Susanne und Figaro, ihre Hochzeit mit großem Aufwand zu feiern, hofft aber, dass Marcelines Argumente ihm Susanne doch noch gefügig machen.

Im Schlafgemach der Gräfin wird der Plan geschmiedet, der den Grafen in die Arme seiner Gattin zurückführen soll. In einem anonymen Brief wird dem Grafen mitgeteilt, dass die Gräfin im Garten ein Rendezvous habe. Susanne soll zum Schein dem Grafen ebenfalls ein Rendezvous gewähren, zu dem Cherub in deren Kleidern kommen wird. Der Page erscheint jetzt zur Anprobe. Als Susanne mit der Verkleidung beginnt, pocht der Graf an die verschlossene Tür. Der Page versteckt sich in dem Kabinett und Susanne verbirgt sich hinter einem Vorhang. Der Graf, erregt über das anonyme Briefchen, ist vor allem wegen des verschlossenen Kabinetts misstrauisch; die Gräfin behauptet, Susanne zöge sich darin ihr Brautkleid an. Als die beiden für einen Augenblick den Raum verlassen, lässt Susanne schnell Cherubin aus dem Kabinett heraus, der mit einem Sprung aus dem Fenster entkommt. Statt seiner begibt sich Susanne in den verdächtigen Raum.

Nach der Rückkehr des gräflichen Paares gesteht die Gräfin, dass der Page in dem Kabinett verborgen sei. Zu aller Überraschung tritt aber Susanne aus dem Zimmer. Dem Grafen bleibt nichts anderes übrig, als um Verzeihung zu bitten. Da treten Marceline und Bartolo auf: Sie verlangen, dass das Eheversprechen, das Figaro Marceline gegeben hat, sofort eingelöst werde oder er sofort das Geld bezahlten müsse.

Susanne, die Kammerzofe der Gräfin, und Figaro, Kammerdiener des Grafen, sind verlobt und denken an ihre Heirat, die noch der Zustim­mung des Grafen bedarf. Doch der Graf hat gewisse Absichten auf die schöne Zofe. Zwar hat er offiziell auf das Recht der ersten Nacht verzichtet, aber bei Susanne möchte er trotzdem gerne davon Gebrauch machen. Figaro beschließt, seinen Herrn mit allen Mitteln zu über­listen. - Doktor Bartolo, jetzt Arzt im gräflichen Schloss, und die Wirtschafterin Marceline sind gegen die Hochzeit Figaros, weil er ihr für die Summe geliehenen Geldes die Ehe versprochen hat. Bartolo verspricht Marceline seine Unterstützung, da sie einst seine Geliebte war.

Der junge Graf klagt Freundin Susanne sein Leid: er ist in alle weiblichen Wesen im Schloss verliebt, vor allem in die Gräfin. Als der Graf naht, versteckt er sich schnell hinter einem Sessel und wird nun Zeuge der gräflichen Liebeswerbungen um Susanne. Später verspricht der Graf Susanne und Figaro, ihre Hochzeit mit großem Aufwand zu feiern, hofft aber, dass Marcelines Argumente ihm Susanne doch noch gefügig machen.

Im Schlafgemach der Gräfin wird der Plan geschmiedet, der den Grafen in die Arme seiner Gattin zurückführen soll. In einem anonymen Brief wird dem Grafen mitgeteilt, dass die Gräfin im Garten ein Rendezvous habe. Susanne soll zum Schein dem Grafen ebenfalls ein Rendezvous gewähren, zu dem Cherub in deren Kleidern kommen wird. Der Page erscheint jetzt zur Anprobe. Als Susanne mit der Verkleidung beginnt, pocht der Graf an die verschlossene Tür. Der Page versteckt sich in dem Kabinett und Susanne verbirgt sich hinter einem Vorhang. Der Graf, erregt über das anonyme Briefchen, ist vor allem wegen des verschlossenen Kabinetts misstrauisch; die Gräfin behauptet, Susanne zöge sich darin ihr Brautkleid an. Als die beiden für einen Augenblick den Raum verlassen, lässt Susanne schnell Cherub in aus dem Kabinett heraus, der mit einem Sprung aus dem Fenster entkommt. Statt seiner begibt sich Susanne in den verdächtigen Raum.

Nach der Rückkehr des gräflichen Paares gesteht die Gräfin, dass der Page in dem Kabinett verborgen sei. Zu aller Überraschung tritt aber Susanne aus dem Zimmer. Dem Grafen bleibt nichts anderes übrig, als um Verzeihung zu bitten. Da treten Marceline und Bartolo auf: Sie verlangen, dass das Eheversprechen, das Figaro Marceline gegeben hat, sofort eingelöst werde oder er sofort das Geld bezahlten müsse.

Nichts kommt dem Grafen gelegener, und wieder wird die Hochzeit verschoben.

In der Zwischenzelt hat die Gräfin einen neuen Plan geschmiedet: Susanne soll mit dem Grafen ein Rendezvous verabreden, bei dem aber die Gräfin In Susannes Kleidern erscheinen wird. Doch da der Graf diese List teilweise durchschauen kann, als er nämlich hört, wie Susanne Figaro zuruft: "Unsere Hochzeit ist gesichert", steht den beiden immer noch Marcelines Prozess Im Wege, bei dem der Graf das Urteil spricht. Doch bevor das Urteil gefällt ist, stellt sich heraus, dass Marceline die Mutter des Findelkindes Figaro Ist und der Vater kein geringerer als Bartolo. Nun bahnt sich eine Doppelhochzeit an, die noch am selben Tage vollzogen wird.

Doch Figaro beobachtet, wie Susanne dem Grafen ein Billet zur Festlegung des Rendezvous überreicht. Er ist vor Eifersucht völlig außer sich, auch seine Mutter kann ihn nicht beruhigen. Nachdem er guter Letzt auch noch erfahren hat, wo das Treffen stattfinden soll, holt er Zeugen, die er im Garten versteckt. Die Gräfin und Susanne erscheinen in vertauschten Kleidern: das Verwechslungsspiel kann beginnen. Die Gräfin wird von ihrem Mann glühend umworben, der sie infolge der Verkleidung für Susanne hält.

Figaro bestürmt - aus Eifersucht - die vermeintliche Gräfin mit seinen Liebeserklärungen, bis Susanne sich zu erkennen gibt und ihm ein paar Ohrfeigen für seine Unverschämtheiten verteilt. Sie spielen gemeinsam dem zurückkehrenden Grafen eine Liebeskomödie vor, der der Graf wütend ein Ende bereitet, weil er der "Gräfin" Treuebruch nachgewiesen zu haben glaubt. Susanne gibt sich wiederum zu erkennen, die Gräfin tritt aus dem Pavillon; dem um Verzeihung Bittenden wird sie großmütig von allen Anwesenden gewährt.


"Hochzelt des Figaro" - Weltkomödie mit überzeitlicher Wirkung ?

Der "Figaro" zählt zu der kleinen Auslese von Stücken, die auf unseren Bühnen heute ein ganz wichtiges Jahrhundert abendländischer Komödiengeschichte repräsentieren. Die Frage nach der Faszination des Stückes drängt sich immer mehr auf - vor allen Dingen nach Kenntnis des Handlungsablaufs.

Denn die Themen und Motive im "Figaro" sind im Grunde sämtlich nicht originell, zum Teil sogar banal. So sind etwa der untreue Ehemann, der von seiner Frau durch einen Rollentausch mit der Geliebten zurückerobert wird, und die listige Ehefrau, die einen Besucher vor dem eifersüchtigen Ehemann versteckt, geläufige alte Novellenmotive. Wenn also die Gründe, warum auch heute nach zwei Jahrhunderten zahlreiche Regisseure sich dieser Komödie widmen, weder im Stil noch in der Charakterbezeichnung und am wenigsten im Stoff zu suchen sind, wo dann?

Der Schlüssel zu der eigentlichen Absicht des Verfassers Ist eher der große Monolog Figaros im 5.Akt der Komödie und sicher auch die Äußerung Napoleons, der sagte: Für mich ist der "Tolle Tag" die Revolution In voller Aktion." Und das war richtig; nirgends bisher war auf dem französischen Theater sich eine unerhörte Verhöhnung des Adels, der Zensur, des Stellenkaufs, einer unzuverlässigen Justiz zugleich mit einer Anklage gegen alle Entrechtungen und Freiheitsbeschränkungen laut geworden. In dieser Auseinandersetzung zwischen Figaro und dem Grafen Almaviva ging es ja ganz und gar nicht nur um Susanne, um ein erotisches Vorrecht im Einzelfall, sondern es ging hier um das Recht des Bürgers in Staat und Gesellschaft.

In den polemischen Dialogen zwischen Figaro und dem Grafen behielt immer der Lakai das letzte Wort - und dies als Vertreter des rechtlich (si) benachteiligten, tüchtig aufstrebenden dritten Standes. In solcher Situation ist es verständlich, dass der zustimmende Applaus des bürgerlichen Publikums niederprasselte, wenn Figaro dem Grafen Almaviva aufbegehrend seine Meinung sagte: "Weil Sie ein großer Herr sind, meinen Sie, ein großes Genie zu sein. Adel, Vermögen, Rang, Würde, all das macht so stolz. Und was haben Sie geleistet für so viel Herrlichkeit? Sie haben sich die Mühe genommen, geboren zu werden: weiter nichts! Im Übrigen ein Alltagsmensch, während ich, im dunkel**. Haufen verloren, nur um mich fortzubringen, mehr Witz und Wissen aufbringen musste, als man In den letzten hundert Jahren für die Regierung aller spanischen Provinzen verbraucht hat. Und Sie unterfangen sich, mit mir anzubinden?"

Der launige Spaßmacher ist hier zum Empörer gegen unsoziale Haltung des Adels und gegen seine demoralisierenden Unsitten geworden. Wa3 hier elegant lächelnd von der Bühne her vorgetragen wurde, war fünf Jahre nachher die revolutionäre Forderung der Massen - und die Voraussage des Königs vom Niederreißen der Bastille traf dann inmitten der Volksempörung ein.

Das Theater an der Wetterscheide von viel mehr als innerfranzösicher Bedeutung: eine alte Welt krachte in allen Fugen und der Aufbruch In ein neues Zeltalter mit neuen Wertmaßstäben wurde erkennbar.

Aus: Kindermann/Theatergeschichte Europas


Besetzung

Personen   und   ihre   Darsteller

Graf   Almaviva,   Groß-Corregidor

Die   Gräfin,   seine   Frau

Figaro,   Kammerdiener

Suzanne,   Kammerfrau

Marceline,   Wirtschafterin

Cherubim,   Page   des   Grafen

Bartholo,   Arzt   aus   Sevilla

Bazile,   Musiklehrer   der   Gräfin

Antonio,   Schlossgärtner

Fanchette,   Antonios  Tochter

Don   Gusman   Brid'oison,   Dorfrichter

Double-Main,   Gerichtsdiener

Ein   Gerichtsdiener

Gripe-Soleil,   junger   Hirte

Eine  junge   Schäferin

Pedrille,   Reitknecht  des   Grafen

Lakai

Statisten

Zoltan   Budai

Stephanie   Kratz

Christopher  Schmidt

Heidrun  Fammler

Anne Blankenberg

Beate Maaß

Grischa Wenseler

Stephan Ruser

René le Riche

Sabine Sievers

Wilfried Gerwinn

Jörg Ebel                                         '

Patrik  Kuhlmann

Ingrid Cohnen

Birgit Zimmermann

Claudius Thomas

Patrik   Kuhlmann

Constanze Bergmann, Kirsten Giesenfeld, Zita   Spiekermann, Andrea Wagner, Claudia Brand, Iris   Mathlage, Miriam Pelosi, Yvonne Schmitter, Tanja Nefranovic


Bühnenbild:
Gudrun Krüger-Brück, Uta Schroeren, Sabine Jonas, Martina Pauls, Hartmut Riedel, Christian Schleicher, Susanne Schroetter, Monika Wegener

Kostüme:
Heidrun Fammler

Maske
Susanne Schwan, Marion Winter

Musik
Jan Ehnes,  W. A. Mozart, Michael Müller

Beleuchtung
Carsten Dalchow, Jörg Ebel

Video
Wolfgang Lorentzen

Foto
Björn Schmitz

Plakat
Christopher Schmidt

Souffleuse
Katrin S. Langenfeld

Ton
Ralf  Bäselt

Transport
Gisela   Hauk,  Schüler  der  Jgst.13

REGIE: HORST RIEMENSCHNEIDER

PAUSE: MITTE  DES   3.   AKTES


Der Held des "Figaro"

Ausführungen von Konstantin Stanislawskij - berühmter russischer Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter (1863-1938) - zu "Figaros Hochzeit":

Das Stück ist ein Volkslustspiel, das in seiner Entstehungszeit höchst revolutionär war. Wir wissen, dass es bei der ersten Aufführung auch so gewirkt hat. Untersuchen wir, worin die Volksverbundenheit, der revolutionäre Charakter besteht. Das Objekt erlaubt uns natürlich nicht, den Aufstand des Volkes zu zeigen - des Volkes, das ein paar Jahre später, mit Lanzen, Gewehren oder ganz einfach mit Heugabeln und Äxten bewaffnet, die Bastille und die Schlösser der französischen Feudalaristrokatie stürmen wird. Bei Beaumarchais hat das Volk eine andere, sehr wirksame Waffe: das Lachen. Schon fürchtet es die Aristokratie nicht mehr. Es lacht über sie. Es fühlt, dass die Rechte der Feudalherren dahinschwinden, dass sie gegenstandslos werden. Um sich von diesen Herren zu befreien, diskreditiert das Volk seine Unterdrücker in Jeder Weise. Gewiss in "Figaros Hochzeit" erkennt das Volk noch mehr: es sieht, dass sich ihm in nicht allzu ferner Zukunft Krämer aus dem dritten Stand ins Genick setzen werden, die Bourgeoisie, gegen die es dann ebenfalls um Recht und Freiheit kämpfen muss.

Vorläufig aber ist Figaro noch Demokrat, nicht Bourgeois, und der Held des Stückes muss das Volk sein. Verstehen Sie mich richtig! Vielleicht denken Sie Jetzt, ich wolle hier mit der Welt von heute kokettieren, Ich wolle den "Figaro" modernisieren! Davon kann keine Rede sein. Ich gehe vom Geist des Werkes aus, wenn ich von Volksverbundenheit und revolutionärem Charakter spreche. Ich bin mir aber sicher, dass mindestens die Hälfte der Gedankenwelt der Helden für unser Publikum aktuell ist. Doch dafür muss man den "Figaro" vor allen Dingen von den Schablonen befreien, mit denen er belastet ist. Das Stück wurde oft als ausgesprochene Unterhaltungskomödie behandelt; der Graf war kein Graf, sondern der Prototyp eines Harlekins, Susanne war das Kolombinchen und Figaro der Pierrot. Doch Figaro ist vor allem ein Mensch aus dem Volk. Susanne ein einfaches Dienstmädchen, die Nichte des Gärtners Antonio. Der Graf ist der letzte Spross eines Feudalgeschlechts. Die Gräfin ist die Rosine, die wir aus dem "Barbier aus Sevilla" kennen - eine Bürgerin, die einen Reifrock angezogen hat und Gräfin geworden ist. Diese Menschen lebten und existierten real in der damaligen Zeit. Sie haben nichts mit der Maskenkomödie zu tun, sie führen kein theatralisches, sondern ein echtes Leben. Das Volk sind alle die Figaros und Susannen verschiedenen Alters, verschiedener Berufe und verschiedener Vermögensverhältnisse in den festgelegten, von den Lebensformen und von der Geschichte ihrer Zeit bestimmten Grenzen. Fürchten Sie nicht, die Worte "Geschichte" und "Lebensformen" auf dieses Lustspiel anzuwenden! Denn nur so kann man diese unsterbliche Komödie verstehen:

Das Volk besiegte seine Feinde und wird sie Immer besiegen, da es zu allen Zelten Verstand, Witz und Gefühl für die eigene Würde besitzt.


Geist und Sitten des Rokoko

Das Jahrhundert zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und dem Ausbruch der Französischen Revolution, ein Bild mit vielen grellen Farben, hat nicht nur den Puritanismus gekannt, sondern auch die laszive Sinnlichkeit einer Epoche, die als Rokoko in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Sie stellt eine letzte euphorische und unvergleichbare Zeit höchsten Reichtums und vollendeter Harmonie dar. Das Bewusstsein, dass eine Epoche zu Ende ging und eine neue anbrach, verklärt alle Manifestationen dieser letzten Generation von Menschen, die noch in Schönheit zu leben verstanden.

Dass diese Menschen des Rokoko ahnten, wie fragwürdig diese äußere Schönheit des Lebens, wie zwiespältig das Glück war, das sie genossen, geht aus zahlreichen Äußerungen von Zeitgenossen hervor:

"Dies gesittete, feingebildete Jahrhundert, das man als das goldene bezeichnete, scheint mir Ähnlichkeit zu haben mit den Sirenen deren obere Hälfte als reitende Nymphe sich zeigt, während die untere in einen grausigen Fischschwanz ausläuft", schreibt der Kurfürst Karl Theodor 1756 an Voltaire.

Gesittung, Lebensart, gesellschaftliche Formen - in einem Rahmen aus Gold, Silber und edlen Steinen. Das Adjektiv, das sich immer wieder aufdrängt, ist: zierlich. Die Gesellschaft geht im Genusse auf, alles scheint dazu geschaffen, dem Dasein erhöhte Schönheit und Süße zu verschaffen. Eine unerhörte Blüte aller Künste umgibt die Menschen des Rokoko. Und doch Ist das nur äußerer Schein. Zu gleicher Zeit erfolgt eine" Umwertung fast aller Werte.

"Das vielbewegte 18. Jahrhundert", sagt Schlosser, "wohl ein Gipfelpunkt menschlicher Kultur überhaupt und vielleicht das geistig freieste aller abgelaufenen Zeltalter, In seinem Schöße das Ende der alten Zeit tragend, leitet in die moderne Zivilisationsperiode hinüber." Das bisher gültige Weltbild hat ausgedient, in scharfer Antithese wird ihm ein neues entgegengestellt. Das allgemeine Unbehagen ob dieser Veränderungen färbte auf jede Lebensäußerung ab. Da alle Irdischen Werte fragwürdig geworden, Reichtum, Geist, Schönheit und Macht als relative und vergängliche, unverlässliche Bagatellen erkannt waren, geudete man damit, aus verhaltener Verzweiflung oder aus gelassener Resignation, die sich als Frivolität gab. Man nahm sich und die Welt, das eigene Leben und das Leben anderer nicht mehr ernst, und schützte sich durch Aggressivität und Selbstironie.

Also nicht das "heitere" Rokoko, sondern das für die Revolution reife Frankreich. Es war heiter, wie ein Manisch-Depressiver heiter sein kann. In seiner Sinnesfreude lag etwas Untergründiges, Unheilschwangeres, Düsteres, ein schwermütiges Wissen um ein verlorenes Glück, das unwiederbringlich entschwindet.

Diese Heiterkeit konnte plötzlich umschlagen in tiefste Verzweiflung oder sich In tobsüchtigem Genuss ausleben. Dass aus solcher Verfallsstimmung eine der großartigsten Kulturepochen hervorgehen konnte, ist nicht erstaunlich, aber doch wunderbar genug.

Aus:  Große Kulturepochen Max Hueber Verlag


Zeitzeugen

Aus der Chroniqhe Scandaleuse, 1783-1791:

Eine junge Dame aus Versailles, die es amüsanter gefunden hatte, die Zeit der Mitternachtsmesse bei ihrem Liebhaber zu verbringen, wo sie weniger unter den Unannehmlichkeiten der Kälte zu leiden hoffte, wurde plötzlich vom Tod überrascht. Als der junge Mann, den die plötzliche Starrheit zuerst überraschte, sich überzeugte, dass deren Ursache tragischer Natur war, verlor er den Kopf und lief in seiner Ratlosigkeit zu einem Polizeioffizier, um ihm sein trauriges Schicksal anzuvertrauen. Man begab sich an Ort und Stelle und nahm dem Herkommen gemäß alles zu Protokoll; darauf wurde die Leiche dem Gatten überwiesen, den dieser Verlust, obwohl er in mehr als einer Hinsicht peinlich war, nicht lange in Trauer versetzte.

Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution, 1856:

Die Franzosen jener Zeit liebten die Freude und schwärmten für das Vergnügen; sie waren vielleicht lockerer in ihren Sitten und zügelloser in ihren Leidenschaften als die heutigen Franzosen, aber die kannten die dezente Sinnlichkeit nicht, die wir jetzt sehen. In den höheren Klassen beschäftigte man sich viel mehr damit, das Leben zu verschönern als es bequem zu machen, viel mehr damit, sich rühmlich auszuzeichnen als reich zu werden. Selbst im Mittelstande ließ man sich nie gänzlich von der Sucht nach Wohlleben beherrschen: Oft verzichtete man darauf, um nach edleren Genüssen zu streben; überall kannte man außer dem Geld noch irgendein anderes Gut. Man muss sich übrigens sehr hüten, die niedrige Gesinnung der Menschen nach dem Grad ihrer Gefügigkeit gegen die herrschende Macht zu messen; das hieße ein falsches Maß anlegen. Wie bereitwillig sich auch die Männer des alten Staates dem Willen des Königs fügten, es gab doch einen bestimmten Gehorsam, der ihnen unbekannt war: Sie wussten nicht, was es heißt, sich einer illegitimen oder anfechtbaren Gewalt zu beugen, die man wenig ehrt, der man aber nur bereitwillig gehorcht, weil sie nützt oder weil sie schaden kann. Diese entehrende Form der Knechtschaft blieb  ihnen immer fremd. Man würde also sehr unrecht haben, wollte man den alten Staat für ein Zeitalter der Servilität und Unselbständigkeit halten. Es herrschte da viel mehr Freiheit als n unseren Tagen; aber es war eine Art unregelmäßiger und vielfach unterbrochener Freiheit, immer an die Idee von Ausnahme und Privileg geknüpft, eine Freiheit, die sich fast niemals so weit erstreckte, dass sie allen Staatsbürgern die natürlichsten Garantien geboten hätte. So beschränkt und entsteht, war die Freiheit doch immer noch fruchtbar.

Die Menschen des 18. Jahrhunderts kannten kaum das zur Leidenschaft gewordene Trachten nach Wohlleben, eine Leidenschaft, die sich leicht mit verschiedenen Privattugenden verbindet, z.B. mit dem Sinn für Familienleben, mit regelmäßiger Lebensweise, mit der Achtung religiöser Glaubensbekenntnisse und selbst mit lauer, doch fleißiger Beobachtung des herrschenden Kultus; eine Leidenschaft, die Rechtlichkeit erlaubt und Heldenmut verbietet, und die es trefflich versteht, ordentliche Leute und feige Staatsbürger hervorzubringen. Die Menschen damals waren zugleich besser und schlechter.


Schultheater

Theater machen in der Schule, das ist immer noch ein bisschen verdächtig, das riecht nach Unverbindlichkeit und Spielerei und passt für manche Leute nicht recht zum Ernst des Lebens, auf den die Schule die Kinder vorbereiten soll. Doch ein kreatives Theatermachen eröffnet den Spielraum, in dem der junge Mensch in der Verkörperung der verschiedenen Rollen die eigenen Möglichkeiten des Seins erlebt und erprobt; die als Rollenträger im Spiel gemachten Erfahrungen wirken zurück und erweitern die eigene Ich-Erfahrung. Das Spiel in der Rolle fördert den ganzen Menschen, nicht nur seine sonst in der Schule vornehmlich geförderten erkenntnisfähigen Kräfte.

Übernommene Verhaltensmuster, die in stereotyper Wiederholung die personale Unsicherheit kaschieren sollten, müssen – zu mindesten teilweise - im Spiel aufgegeben werden, weil sie zur Rollengestaltung nicht taugen. Stattdessen wird ein breites Spektrum von Ausdrucksmöglichkeiten in Mimik, Gestik und Körperbewegung aktiviert.

Spiel und Theater in der Schule sind aber auch zu sehen als eine elementare Form von Kunst. Von vielen Seiten wird der Vorwurf laut, man erziehe die Jugendlichen zu Dilettanten. Doch die Schulfächer Musik und Kunst leiten ihre fachspezifischen Aufgaben ebenfalls aus den dazugehörigen Kunstformen - wie das darstellende Spiel in der Schule von dem Theater.

Aus: Theater machen

Walter Reger "Es ist eine so angenehme Empfindung, sich mit etwas zu beschäftigen, was man nur halb kann; dass niemand den Dilettanten schelten sollte, wenn er sich mit einer Kunst abgibt, die er niemals lernen wird, noch den Künstler tadeln dürfte, wenn er über die Grenzen seiner Kunst hinaus in einem benachbarten Felde zu ergehen Lust hat."

So unser aller Übervater Goethe in den "Wahlverwandtschaften". Dürfen wir - circa 10 Schüler und Lehrer mit den unterschiedlichsten Begabungen und den unterschiedlichsten Fachbereichen - uns dann nicht um so mehr der "angenehmen Empfindung" hingeben, uns mit einer Kunst zu beschäftigen, die wir "perfekt" weder lernen können noch wollen?

Denn was für ein schönes und befreiendes Gefühl ist es zu wissen: niemand erwartet etwas Perfektes, niemand stellt Ansprüche, niemand - am wenigsten wir selber glauben an eine "künstlerische" Leistung; unser eigener Ehrgeiz ist es, der uns vorantreibt. Was zählt, ist das Engagement für eine Sache, die Spaß macht. Und diese Sache ist Laienspiel und soll Laienspiel bleiben!!!!


Zur Aufführungsgeschichte des "Figaro“

Jahrelang musste Beaumarchais um die Erstaufführung kämpfen. Der Weg vom Pult zur Bühne dauerte; und die revolutionären Tendenzen beschleunigten diesen Weg keineswegs. Zensoren über Zensoren beschäftigten sich mit dem Stück; der König begleitete eine von ihm angeordnete Vorlesung' mit den Worten: "Das ist abscheulich! Das wird niemals bespielt werden: Die Aufführung des Stückes wäre eine gefährliche Inkonsequenz, wenn man nicht zuvor die Bastille niederreißen wollte!"

Ein wahrer Zweikampf zwischen Beaumarchais und dem König setzt ein. Trotz zahlreicher Versuche einer Privatvorstellung in Adelskreisen erlaubte der König lange Zeit nicht, den "Figaro", von dessen Erfolg alles sprach, für das offizielle Theater freizugeben. Erst ein Minister konnte Ludwig XIV. bewegen, das Verbot aufzuheben, so dass am 27.4.1784 der große Tag für Beaumarchais gekommen war: Sein "Figaro" durfte endlich öffentlich aufgeführt werden. Das Publikum aller Stände stürmte das Theater, nur die Hälfte der Einlas Begehrenden konnten Karten bekommen. Der König erhoffte immer noch einen Untergang des Stückes, doch aufgrund des großen Erfolges musste die Komödie über siebzigmal gespielt werden trotz oder wegen des immer weiterwogenden Kampfes.


NACHWORT

Wir danken Frau Fritsche vom Landesstudio NRW des ZDF,

Herrn Schmidt vom Rheinischen Landestheater Neuß;

Herrn Willerscheidt von der Deutschen Oper am Rhein,

Herrn Zemma vom Düsseldorfer Schauspielhaus,

dem Verein der Freunde und Förderer des Lise-Meitner-Gymnasiums  

und nicht zuletzt Herrn Schmitz für ihre großzügige Unterstützung unserer Aufführung.


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